Corona-Hotspot: Oberpfälzer Klinik im Ausnahmezustand

5.5.2020, 05:51 Uhr
Corona-Hotspot: Oberpfälzer Klinik im Ausnahmezustand

Diese Bilder aus der Intensivstation sorgten bei zahlreichen Fernsehzuschauern für Entsetzen. "Beim Patienten in Bett 15 gibt es keine Hoffnung mehr", sagt die Stimme aus dem Off. Die Therapie sei beendet, nach einer Beratung der behandelnden Ärzte werde das Beatmungsgerät nun abgeschaltet. Dann zeigt der ARD-Beitrag, wie eine Intensivschwester die entsprechenden Knöpfe drückt.

In den sozialen Netzwerken wurde daraufhin eine Vielzahl von empörten Kommentaren gepostet, und auch so mancher Verschwörungstheoretiker verbreitete seine kruden Thesen. Ein Covid-19-Patient werde nicht mehr beatmet, weil das Klinikum Weiden über zu wenig Beatmungsgeräte verfüge, heißt es zum Beispiel in einem Facebook-Beitrag.

Thomas Egginger, Vorstand der Kliniken Nordoberpfalz GmbH, widerspricht solchen Darstellungen entschieden. Der besagte Patient sei bereits tot gewesen, als die Schwester das Beatmungsgerät abstellte. Etwas anderes sei gar nicht erlaubt, stellt Egginger klar und zieht zu dem besagten ARD Extra das Fazit, dass vieles in diesem Bericht "gut gemeint, aber nicht gut gemacht" sei.

117 Corona-Tote im Landkreis

Nichts zu deuteln gibt es jedoch an der Tatsache, dass die zentrale medizinische Einrichtung in der nördlichen Oberpfalz durch das Coronavirus derzeit außerordentlich belastet ist. Neben dem Landkreis Neustadt an der Waldnaab ist es nämlich für den Landkreis Tirschenreuth zuständig, nach wie vor das Corona-Epizentrum in Deutschland. Über 1100 offiziell bestätigte Infektionen und 117 Todesfälle, die in Zusammenhang mit Sars-CoV-2 stehen, meldete das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) am 4. Mai für den traurigen Spitzenreiter in der bundesweiten Landkreis-Statistik.

Bei über 1,5 Prozent der Bevölkerung des Kreises Tirschenreuth hat das zuständige Gesundheitsamt mittlerweile eine Infektion mit dem Coronavirus registriert. Das ist mehr als das Zehnfache der Quote des Kreises Erlangen-Höchstadt, dem in der Region – bezogen auf die Einwohnerzahl – bisher am wenigsten von der Pandemie betroffenen Landkreis.

Über 800 Patienten mit einer Covid-19-Erkrankung wurden bisher im Klinikum Weiden und den anderen Häusern der Kliniken Nordoberpfalz AG behandelt, die für sechs Standorte mit insgesamt 1105 Betten und rund 3000 Mitarbeitern verantwortlich zeichnet. Wie viele dieser Patienten intensivmedizinisch betreut und wie viele künstlich beatmet werden mussten beziehungsweise müssen, darüber gibt Kliniksprecher Michael Reindl keine Auskunft. Auch nicht darüber, bei wie vielen Menschen, ähnlich wie beim eingangs erwähnten Patienten in Bett 15, die Mediziner den Kampf gegen die Folgen des Virus verloren haben.

Ärger über wilde Gerüchte

"Wir haben uns zu Beginn der Corona-Pandemie intern darauf verständigt, dass wir keine konkreten Zahlen zu Patienten und deren Behandlungsumfang nennen", sagt Reindl. Man ist vorsichtig bei der Kliniken Nordoberpfalz AG. Schließlich wurden die Verantwortlichen in den vergangenen Wochen unter anderem mit Gerüchten konfrontiert, dass in Weiden Patienten über 80 Jahren wegen des Mangels an Geräten nicht mehr beatmet werden würden.

"So ein Schwachsinn", kommentiert Melissa Jäschke, Fachpflegerin für Intensivmedizin und Anästhesie auf der Intensivstation, solche Spekulationen. Die Situation sei überhaupt nicht mit der in manchen Regionen Italiens vergleichbar, wo Ärzte tatsächlich entscheiden mussten, wer beatmet wird und wer nicht. Wer im Klinikum Weiden mit seinen etwa 650 Betten intensivmedizinische Betreuung benötige, der bekomme sie auch.

Je nach Personal- und Geräteverfügbarkeit habe man über 60 Beatmungsplätze, berichtet Thomas Egginger. Wie viele davon frei seien, werde täglich mit dem regionalen Krisenstab abgeklärt sowie den Gesundheitsministerien in München und Berlin gemeldet. "Wir sind unverändert und jederzeit für einen stärkeren Anstieg von Coronafällen an allen Standorten – mit Intensivkapazitäten in Weiden und Tirschenreuth – gewappnet", unterstreicht die ärztliche Direktorin Elisabeth Eißner. Und würde es tatsächlich zu technischen oder personellen Engpässen kommen, würden Patienten rechtzeitig in andere Kliniken verlegt.

Zwischendurch hatte die Kliniken Nordoberpfalz AG mit Engpässen bei der persönlichen Schutzausrüstung zu kämpfen, doch auch in dieser Hinsicht hat sich die Situation deutlich gebessert. Und das "Diagnostikzelt" für mutmaßliche Infizierte, das Ende März angesichts der Vielzahl von Corona-Fällen neben der Notaufnahme aufgestellt worden war, ist nicht mehr in Betrieb. "Die Infrastruktur wird jedoch noch einige Tage beibehalten", erklärt Michael Reindl. Inzwischen hat sich die Situation merklich entspannt, doch man will vorbereitet sein für eine eventuelle zweite Welle.

1. FC Nürnberg spendete Trikots

Das Personal wurde deshalb aufgestockt, doch der Mangel an Pflegepersonal stellt auch jetzt eine große Belastung für Melissa Jäschke und ihre Kolleginnen und Kollegen dar. Man sei schon vor Corona selten richtig gut besetzt gewesen, doch jetzt habe man eben noch mehr stressige Dienste, erzählt die 27-Jährige.

Ein wenig ausgeglichen wird das durch den großen Zusammenhalt beim Klinikpersonal und durch die enorme Unterstützung der Bevölkerung und der örtlichen Wirtschaft. "Das reicht von regelmäßigen Pizzalieferungen über Osterhasen und Blumensträußen für das Personal bis hin zu Trikots, die der 1. FC Nürnberg an unsere Kolleginnen und Kollegen verteilt hat", erzählt Michael Reindl. Zudem hat ein Förderverein die Anschaffung von 50 Tablets unterstützt, damit Patienten mit ihren Familien über Skype kommunizieren können. Melissa Jäschke berichtet von Obstkörben und Kino-Freikarten, die in der Klinik abgegeben werden. "Das macht‘s natürlich erträglich."


Über aktuelle Entwicklungen in der Corona-Krise berichten wir im Liveticker. Sie haben selbst den Verdacht, an dem Virus erkrankt zu sein? Hier haben wir häufig gestellte Fragen zum Coronavirus zusammengestellt.

Die Anzahl der Corona-Infizierten in der Region finden Sie hier täglich aktualisiert. Die weltweiten Fallzahlen können Sie an dieser Stelle abrufen.


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