Craft Beer: Eine Geschichte von Erfolg und Misserfolg
22.4.2020, 17:49 UhrDer Startschuss war kaum zu hören, damals, als Oliver Lemke in Berlin 1999 das erste kommerzielle deutsche "Craft-Bier" ausschenkte. Das gesamte Land wähnte sich mitten in einem Aufbruch zu wahrhaft goldenen Zeiten. Der Kalte Krieg und die deutsche Teilung schienen überwunden, die Einkommenskurve zeigte bei nahezu jedem nach oben, in Berlin drehte die Love Parade ihre Runden und im August starrte ganz Deutschland in die Sonnenfinsternis.
An den Zapfhähnen drehte sich eigentlich noch alles um das Fernsehbier. Wer unter der Woche das Pils aus der regionalen Brauerei trank, gönnte sich am Wochenende etwas Besonderes, vielleicht eine "Königin unter den Bieren" – oder sogar den oder das "König". Einige Gasthausbrauereien mit dem immer gleichen Programm "Hell-Dunkel-Weizen" waren zwar da, aber auch großteils in der Schmuddelecke verschwunden, und so hatte der Newcomer aus Berlin auch keine Chance mit seinem neuen Bier.
Ganz neue Aromenprofile
Inzwischen hat die Bierwelt viel erlebt. Ab 2007 machten sich "Craft-Beer-Nerds", die deutsche Variante der amerikanischen "Hop Heads", auf, die Biertrinker zwischen Alpen und Nordsee zu missionieren. Ihre Botschaft war klar: "Vergesst die Fernsehbiere, vergesst die deutschen Bierstile – echtes Bier heißt IPA (Indian Pale Art) und hat seine Wurzeln in den USA." Über Sinn und Unsinn dieser Botschaft lässt sich trefflich streiten, sie fand jedenfalls Anhänger und Nachahmer, die deutsche Craft-Beer-Szene war geboren – und Pionier Oliver Lemke ist mehr denn je ein wesentlicher Teil davon.
Bier selbst brauen: Redakteuer Matthias Niese macht den Selbsttest
Sicher gab es viele Biere von hoher Qualität und bisher bei den deutschen Biertrinkern weitgehend unbekannte Aromenprofile – und trotzdem nahm die Bewegung nicht richtig Fahrt auf. Der Marktanteil steigerte sich auf ein gutes Prozent des deutschen Biermarktes und in den Jahren 2015 und 2016 erreichte der Suchbegriff "Bier" nach den Google-Statistiken sein Popularitätsmaximum. Das hing sicherlich auch mit dem 500. Geburtstag des Reinheitsgebots und den zugehörigen Veranstaltungen von Freunden und Feinden zusammen, die das Netz beschäftigten. Doch auch wenn man nach den Statistiken für den Begriff "Craft Bier" sieht, findet sich der Spitzenwert vor einiger Zeit, nämlich Ende 2017.
Seitdem ist es merklich ruhiger geworden. Die Supermärkte räumten die bunten Flaschen wieder aus den Regalen und so manche hoffnungsvoll gestartete Marke verschwand vom Markt. In ihrer Not schauten die Craft Brauereien in ihr vermeintliches Mutterland USA und nach Süddeutschland, wo der höchste Bierkonsum auch am meisten Geschäftssinn vermuten lässt.
Heraus kam eine neue Botschaft an die Jünger der Bewegung: "Wir haben die deutschen Bierstile neu entdeckt. Trinkt unser Craft Pils und unser Craft Helles!" Diese Kehrtwende innerhalb nur eines Jahrzehntes machte es den Konsumenten nicht leicht, zumal die neuen Varianten der bekannten deutschen Biere im Bier-Regal neben den traditionellen Vertretern nicht nur in Sachen Preis, sondern nicht selten auch in Sachen Qualität recht alt aussahen. Im Markt tummeln sich nun allerlei bunte Gestalten, die jede Art von Vermutung äußern. Von "Craft ist tot" bis "Warte nur ab, jetzt geht es erst richtig los".
Die Nische ist gut gepolstert
Das US-amerikanische Marktforschungsinstitut Gartner hat ein grafisches Schema entwickelt, mit dem sich der Zyklus von Hypes abbilden und in gewisser Weise auch vorhersagen lässt. Wenn der deutsche Craft-Beer-Markt darauf projiziert wird, dann lässt sich ablesen, dass wir wahrscheinlich vor einer Etablierung dieses Segmentes stehen, mit einem Marktanteil zwischen einem und fünf Prozent. Das entspricht aber immerhin einem Umsatzvolumen von bis zu einer halben Milliarde Euro. Grund genug für alle "Crafties", nicht zu verzweifeln und ihren Platz in dieser gut gepolsterten Nische zu finden.
Auch in Franken gibt es Erfolgsbeispiele, wie etwa "Veto" aus Feucht oder "Eppelein & Friends" aus Nürnberg. Dazu gehört natürlich auch eine lokale Vertriebsinfrastruktur wie etwa die Bierothek in Nürnberg. Gründer Christian Klemenz sieht auf jeden Fall noch viel Arbeit im Thema Craft: "Um wirtschaftlich agieren zu können, ist immer eine gewisse Größe erforderlich, auf Produktions- sowie auf Handelsseite." Auch Klemenz glaubt an ein größeres Potential des Segments Craft Beer in der Zukunft, wenn der Handel seine Hausaufgaben macht: "Wunsch und Wirklichkeit finden nun langsam wieder besser zueinander", sagt er. "Die Masse der Konsumenten ist aber trotzdem einfach noch nicht so weit, wie das viele vielleicht gerne hätten. Es ist die Aufgabe von Händlern wie uns, die Kategorie mit einem realistischen Blick nachhaltig wachsen zu lassen."
Es gibt also nach über 20 Jahren deutschem "Craft" viele Geschichten von Erfolg und Misserfolg, die vor allem zeigen, dass auch der Craft-Beer-Markt an einer soliden wirtschaftlichen Fundierung nicht vorbeikommt. Aus Brauern werden Unternehmer, aus Freunden Konkurrenten und aus den Missionsgedanken Businesspläne. Sehr deutlich wurde das Anfang April 2019 bei der ersten "Home Brew Bayreuth". Bei der Siegerehrung allerdings standen dann Hunderte Hobbybrauer und Fans zusammen und fieberten füreinander und miteinander, wer die ersten Plätze belegen würde. Eine Stimmung, wie sie auf den ersten Craft-Beer-Veranstaltungen in Deutschland genauso zu erleben gewesen war.
Craft Beer bedeutet übersetzt erst einmal nichts anderes als "handwerklich gemachtes Bier". Als sich um die Jahrtausendwende immer mehr Konsumenten für Bioprodukte und dafür interessierten, woher eigentlich ihre Nahrungsmittel kommen und wie sie hergestellt werden, begannen sich auch Bierliebhaber zu fragen: Muss es unbedingt das Standardbier aus dem Supermarkt sein oder gibt es auch bei uns um die Ecke eine kleine Brauerei mit handwerklich gemachtem Bier? Biersommelière Nina Anika Klotz vom Online-Magazin Hopfenhelden nennt fünf Punkte, die Craft Beer in Deutschland ausmachen: Es gibt immer einen Gründer, der für das Bier einsteht. Die Brauerei ist nicht Teil eines großen Konzerns. Die Brauer haben Mut zu ungewöhnlichen Kreationen. Der Begriff "handwerklich" bezieht sich auf die Verwendung natürlicher Zutaten. Die Produkte müssen in ihrer Außergewöhnlichkeit überzeugen.
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