Doppelmord-Prozess: Psychiater spricht von "Mord aus Liebe"

Ulrike Löw

27.3.2019, 19:22 Uhr

Am 29. Dezember 2017 sagten Stephanie und Ingo P. "Ja" zueinander – zum Zeitpunkt der Hochzeit waren Ingos Eltern schon seit zwei Wochen tot. Trifft die Hypothese von Psychiater Michael Wörthmüller zu, hätte ausgerechnet der Doppelmord für "ein ganz großes Gefühl der Verbundenheit" zwischen Ingo und Stephanie P. gesorgt. Ist das zu glauben? Die Vorstellung, dass einer seine Eltern mit einem Hammer erschlägt – quasi als Liebesbeweis? Wie entsteht eine derartige Annahme? Von Anfang an: Wer zu Dr. Michael Wörthmüller kommt, ist kein Patient, hat keine Heilung zu erwarten und darf auch nicht mit der ärztlichen Schweigepflicht rechnen.

Denn es gehört nicht zu den Aufgaben des Mediziners, Menschen zu heilen. Er will sich ein Bild von ihnen machen – und nichts von dem, was sie ihm erzählen, behält er für sich, sondern schildert es im Gerichtssaal. Ingo P., so Wörthmüller, habe ihm von einer übermäßig behüteten, doch unglücklichen Kindheit berichtet. Die Mutter begleitete ihren kleinen Bub ständig, und er wurde als "dicker Ingo" verspottet. Seine guten Leistungen in der Schule nutzten ihm nichts – den Übertritt ins Gymnasium wagte er nicht, denn dort gingen die Schüler hin, die ihn quälten. Ingo will versucht haben, sich gegen die Übergriffe zu wehren, doch die Mutter regte sich nur furchtbar auf und sei angeblich keine Hilfe gewesen.

"Dominant, manipulativ und theatralisch"

In der Realschule fand er in der Musik Zuflucht – er lernte Gitarre, spielte in der Big Band. Schließlich brachte es der Außenseiter Ingo P. zu Auftritten als Alleinunterhalter bei Vereinen, immer unterstützt von seinem Vater. Als er später Fachinformatiker wurde und nebenher noch ein Studium absolvierte, dazu sein Übergewicht in den Griff bekam und erste Kontakte zu Frauen pflegte, entwickelte er auch mehr Selbstwertgefühl, so der Psychiater. Doch noch immer wollte der einst gehänselte "dicke Ingo" der Nachbarschaft in Schnaittach beweisen, dass auch er im Leben etwas schafft – das labile Selbstwertgefühl sei ihm geblieben, er habe schizoide und selbstunsichere Persönlichkeitsanteile, so Wörthmüller.


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Tests zeigten, dass Ingo P. kaum bereit sei, Schwächen und Unzulänglichkeiten einzuräumen, es mangele an der Bereitschaft, Regeln und Normen einzuhalten. Und mit Stephanie habe er einen Menschen gefunden, der ebenfalls erhebliche Probleme mit sich selbst hat. Intellektuell betrachtet, kann Stephanie Ingo nicht das Wasser reichen: Sie verließ die Schule nach der 9. Klasse, beschreibt Ingo als "besitzergreifend" und sich selbst als "naiv".

Doch ihre eigenen Wünsche stellte sie nicht hinten an: Sie flirtete auf Online-Portalen mit anderen Männern, verlangte von Ingo, ihre Lügen gegenüber ihren Eltern zu decken und als gelernte Kinderpflegerin war sie beruflich ständig "auf ihren Vorteil bedacht". Weder Stephanie noch Ingo P. attestiert der Psychiater eine Persönlichkeitsstörung, doch Stephanie sei auch "dominant, manipulativ und theatralisch" und habe "dissoziale Anteile".

Bluttat ein Liebesbeweis

So behauptet sie, dass ihr Ingo die Morde gestanden habe, doch danach drohte, sie und ihre Eltern zu töten, wenn sie nicht schweige – dass sie psychisch zerrissen war, hält der Psychiater für denkbar. Doch er zweifelt, dass Stephanie unter Zwang bei Ingo P. blieb. So "minderbegabt" sei sie nicht, sie war auch "nicht unfähig zu gehen". Wie abhängig Ingo P. von ihr war, zu welchen Gefühlsausbrüchen er, der sonst als emphatielos beschrieben wird, fähig war, zeigt ein Video, das er ihr schickte: Er wirkt verzweifelt und schluchzt so heftig, dass kaum zu verstehen ist, worum es ihm damals ging: Er fleht sie an, sie zu heiraten. Man muss Wörthmüllers Arbeitsthese "Mord aus Liebe" auch als psychologischen Überbau für die Theorie der Kripo betrachten – gehen doch die Ermittler von einem gemeinschaftlich begangenen Doppelmord aus.


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In der Beziehungsdynamik des Paares wäre die Bluttat ein Liebesbeweis, ihr Auftritt im Franken Fernsehen eine gemeinsame Lüge. Dort meldeten sie die Eltern öffentlich als vermisst. Und selbst die Leichen auf dem Grundstück hätten ihr Gefühl der Zusammengehörigkeit verstärkt. Noch ist offen, welche Schlüsse die Schwurgerichtskammer ziehen wird: Wörthmüller hält beide Angeklagte für voll schuldfähig. Zu Stephanie P.s Beteiligung – auch sie ist wegen Mordes angeklagt – wiesen die Richter bereits darauf hin, dass stattdessen auch eine Verurteilung wegen Anstiftung oder Beihilfe in Betracht kommt. Der Prozess geht weiter. Am kommenden Mittwoch werden der Staatsanwalt und die Strafverteidiger ihre Schlussvorträge halten.