Umbenennungen

Alle Straßennamen in Erlangen sollen überprüft werden

Stefan Mößler-Rademacher

Erlanger Nachrichten, Leiter der Lokalredaktionen Erlangen und Herzogenaurach

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30.6.2021, 15:41 Uhr
Alle Straßennamen in Erlangen sollen überprüft werden

© Stefan Mößler-Rademacher

"An den historischen Bestand an Benennungen müssen die Kriterien sehr behutsam angelegt werden. Neben der nationalsozialistischen Vergangenheit stehen insbesondere Fragen des Antisemitismus, des Rassismus und Chauvinismus, der Verfolgung von Minderheiten, des extremen Militarismus und des Kolonialismus im Fokus", stellt Erlangens Stadtarchivar Andreas Jakob klar. Straßennamen sorgen auch in Erlangen - Stichwort Langemarckplatz - regelmäßig für Diskussionen. Sind manche Namen noch zeitgemäß oder gar belastet. Was oft eine Einzelabwägung war, soll nun systematisch erfolgen. Vorschläge dazu liefert das Stadtarchiv.

Bereits im April 2016 wurde das Stadtarchiv durch den Ältestenrat und den Umwelt-, Verkehrs- und Planungsausschuss mit einer „generellen kritischen Überprüfung der Erlanger Straßennamen und auch anderer Benennungen im öffentlichen Raum […] mit gesondertem Beschluss“ und einer Prüfung der „erforderliche[n] Ressourcenbereitstellung durch das zuständige Referat“ beauftragt. Aber: ein formaler Beschluss ist bislang nicht ergangen. Und zudem verfügt das Stadtarchiv aufgrund seiner zahlreichen laufenden und vom Stadtrat beauftragten Aufgaben (Forschungsprojekt NS-Krankenmorde, Gedenkstätte, Buchprojekt Weimarer Republik und Nationalsozialismus) nicht über die erforderlichen Ressourcen, um diesen wichtigen Aspekt kommunaler Erinnerungskultur in angemessener Weise wissenschaftlich fundiert zu bearbeiten. Nun hat das Stadtarchiv einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen inklusive einer Ermittlung des erforderlichen Personals und Sachmittel erarbeitet, der im Kulturausschuss diskutiert werden soll.

Zu wenig Personal

Bereits im Jahr 2017 war in Erlangen ein Arbeitskreis zur Prüfung von Straßennamen unter Leitung des Stadtarchives ins Leben gerufen und mit Mitgliedern des Stadtrates besetzt worden. Eine Fortsetzung der Arbeit in diesem Gremium war aufgrund mangelnder personeller Kapazitäten im Stadtarchiv nicht möglich, zumal eine generelle Überprüfung aller Namen als sinnvoll erachtet wurde.

Das Stadtarchiv schlägt nun vor, quasi Nägel mit Köpfen zu machen. Deshalb soll eine Überprüfung aller Erlanger Straßennamen vorgenommen werden. Denn, so heißt es in der Vorlage für die Stadträte: „Nur eine Gesamtschau auf den Bestand der Straßenbezeichnungen ermöglicht es, in „einem wissenschaflich fundierten Abwägungsprozess die historisch belasteten Benennungen herauszufiltern und zu bewerten“.

Wie sieht nun das Vorgehen konkret aus? In einem auf zwei Jahre angelegten Projekt sollen:

1. alle Namen von Straßen, Plätzen und Brücken sowie weitere Benennungen im öffentlichen Raum untersucht und hinsichtlich einer historischen Belastung von namensgebenden Personen, Orten oder Ereignissen überprüft werden.

2. in Zusammenarbeit mit einem „Arbeitskreis Straßenbenennungen“ unter Beteiligung von Historikern, ggf. weiteren Experten und Mitgliedern des Stadtrats ein Vorgehen im Umgang mit ggf. belasteten Bezeichnungen erarbeitet und dem Stadtrat zum Beschluss vorgeschlagen werden.

3. eine Aktualisierung der Richtlinien mit Blick auf einen Kriterienkatalog für die Stadt Erlangen zur Benennung von Straßen vorgenommen werden.

4. die Ergebnisse der wissenschaftlichen Recherchen in einer zu erstellenden Datenbank der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.

Noch keine Gelder im Haushalt

Für die Sachkosten werden 19000 Euro, für die Personalkosten 86600 Euro veranschlagt, die bislang nicht im Haushalt vorgesehen sind.

In der Stadt Erlangen gibt es derzeit insgesamt 975 Straßennamen. Davon sind 378 Straßen nach Personen benannt. "Diese Gruppe bedarf sicherlich der sorgfältigsten Untersuchung", heißt es im Papier des Stadtarchivs. Und: "Jedoch können sich auch Benennungen z. B. nach Orten (vgl. Langemarckplatz, Bohlenplatz im 18 Jh. als abwertende Spottbezeichnung „Kleinpolen“ entstanden) als diskussionswürdig erweisen." Hinzu kommen einige wenige weitere Benennungen von kommunalen Einrichtungen.

Dabei weist Stadtarchivar Andreas Jakob auf den Unterschied von Neubenennungen und bestehenden Straßennamen hin, die "gewiss einen Großteil der historischen Straßennamen als ,unzulässig´ erscheinen ließen (z. B. wären die Namen der Markgrafen, die sicherlich nicht auf dem Boden der Wertvorstellungen des Grundgesetzes standen, nach diesen Kriterien „unzulässig“)."

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