Gedenken für Opfer der NS-Krankenmorde
Auch für den Bezirk Mittelfranken ist ein künftiger Gedenkort in Erlangen von Bedeutung
8.7.2021, 18:30 UhrFrau Kasparek, wie kamen Sie zu Ihrer Aufgabe beim Bezirk?
Vor zwei Jahren formulierte eine Gedenkinitiative für die Opfer der NS-"Euthanasie" die sogenannte Hartheim-Deklaration. Der Bayerische Bezirketag hat sich dieser Deklaration angeschlossen. Damit verpflichten sich die Bezirke als Träger der Nachfolgeinstitutionen der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalten, Ansprechpartner für die Angehörigen zu benennen. Ich war bereits seit zwei Jahren in der Bezirksheimatpflege für die Erforschung der Geschichte des Bezirks Mittelfranken im Nationalsozialismus zuständig.
Jetzt möchte der Bezirk mit mir dauerhaft jemanden haben, an den sich Menschen wenden können mit ihren Fragen, die sie rund um die NS-"Euthanasie" an den Bezirk oder an die Bezirkskliniken haben. Das Interesse ist tendenziell steigend.
Welche Fragen werden gestellt?
Manche Angehörigen wissen beispielsweise zwar, dass sich ein Familienmitglied in der Anstalt befand, aber sie wissen nicht so genau, was tatsächlich passiert ist. Andere haben eine Vermutung, weil die Sterbedaten in eine Zeit fallen, wo die Wahrscheinlichkeit nahe liegt, dass es sich nicht um einen natürlichen Tod handelt. Die Anfragen landeten bisher immer in der Bezirksklinikumsverwaltung. Dort konnte man aber nur begrenzt weiterhelfen, weil es individuell sehr unterschiedliche Recherchewege gibt, die man dann einschlagen muss. Ich versuche, hier zu unterstützen.
Was sind Ihre weiteren Aufgaben?
Die Forschungslage ist so, dass es in den nächsten Jahren noch viel zu tun gibt. Momentan forsche ich zur Frage, welche Rolle der Vorgänger des Bezirks Mittelfranken bei den NS-Verbrechen hatte und speziell zur Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt Ansbach.
Zur Geschichte der der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen gibt es zusätzlich ein Forschungsprojekt vor Ort. Der Bezirk möchte aber auch, dass über die reine Forschung hinaus auch Vermittlungsarbeit betrieben wird. Deshalb konzipiere ich auch Veranstaltungen und plane für das kommende Jahr eine kleine Wanderausstellung für Schulen, Kommunen und interessierte Institutionen.
Die unmittelbaren Angehörigen werden älter und weniger, aber trotzdem nimmt das Interesse zu?
Ja, so ist es. Das war mir tatsächlich zunächst nicht so bewusst, obwohl ich mich schon viel mit NS-Themen und Erinnerungskultur beschäftigt habe. Bei den Angehörigen gibt es seit einigen Jahren eine Art Aufbruchstimmung, da nachfolgende Generationen einfach andere Möglichkeiten haben, sich emotional dieser Thematik zu öffnen. In den Familien wurde oftmals über die Personen, die damals in den Heil- und Pflegeanstalten starben, nicht gesprochen. Häufig sind die Enkel oder Urenkel diejenigen, die eher unbedarft Fragen stellen und keine Angst davor haben, Familientabus zu brechen. Man merkt, dass sich die emotionale Haltung zum Thema verändert. Die Berührungsängste früherer Generationen sind einfach größer. Das hat etwas mit erlebten Stigmatisierungen rund um die Thematik Psychiatrie zu tun.
Geht es auch um die Frage, ob man sich outen möchte als Angehöriger von jemandem, der eine psychische Erkrankung hatte?
Man liest häufig, dass das der Grund ist, warum die Menschen nicht darüber sprechen. Aber ich glaube, es gehört auch eine ganz natürliche Berührungsangst mit dem Thema dazu. Wer geht heute in einer Psychiatrieeinrichtung einfach so spazieren? Psychiatrische Kliniken sind nicht die Orte, an denen man sich selbstverständlich aufhält . Viele Menschen nehmen sie als etwas Fremdes wahr, das ihnen auch Angst macht.
Was müsste aus Ihrer Sicht als Mitarbeiterin des Bezirks bei der Schaffung eines Lern- und Gedenkortes in Erlangen besonders beachtet werden?
Man muss sich die Frage stellen: An wen oder was möchte man eigentlich erinnern? Möchte man an Medizinopfer erinnern, die aus Erlangen kommen? Möchte man die Heil- und Pflegeanstalt beleuchten? Oder unterschiedliche Opfergruppen, die ja aus ganz unterschiedlichen Gegenden stammten?
Können Sie das näher erläutern?
Die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen war keine reine Klinik für Erlanger, sondern hatte ein Einzugsgebiet, das sich auf die Städte Erlangen, Nürnberg, Fürth und andere Landkreise ausdehnte. Das war aber ein eher theoretisches Konstrukt.
In der Praxis gab es zahlreiche Verlegungen, dass in der Zeit des Zweiten Weltkriegs in Erlangen auch zahlreiche Personen aus Oberfranken wie auch aus karitativen Einrichtungen wie den Neuendettelsauer Anstalten untergebracht waren. Hier ging es vor allem darum, die Heil- und Pflegeanstalten aufzufüllen, um Kosten zu sparen. Es wurden auch Erlanger nach Ansbach verlegt, um dort freie Plätze aufzufüllen. Von wem sprechen wir eigentlich, wenn wir von den "Erlanger Opfern" sprechen? Ich denke, es muss in Erlangen bei der Konzeption dees Gedenkortes einer der nächsten Schritte sein zu definieren, um was und um wen man sich genau kümmern möchte Und ich würde mich freuen, wenn die aktuellen Bezüge, die im Konzept angedacht sind, einen Schwerpunkt erhalten. Ich stelle immer wieder fest, wie aktuell das Thema und wie erschreckend nah das historische Geschehen an den medizinethischen Fragestellungen der Gegenwart ist.
Auf was beziehen Sie sich?
Zum Beispiel auf die aktuelle Sterbehilfe-Debatte. Die Frage, darf man von außen dem Sterben helfen - und die ethischen Probleme, die das hervorbringt. Durch Medikamente jemandem zum Tod zu verhelfen, der es selbst nicht tun kann - da ist man bei den grundlegenden Fragestellungen der Eugenik. Ein anderes Beispiel ist die Pränataldiagnostik - allesamt Themen, die eine große Relevanz für die Gegenwart und Zukunft haben.
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