Coronavirus bringt Straßenkreuzer-Verkäufer in Not

Sharon Chaffin

Redakteurin Erlanger Nachrichten

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23.3.2020, 06:00 Uhr
Coronavirus bringt Straßenkreuzer-Verkäufer in Not

Der gleichnamige Verein stoppte, noch bevor Ausgangsbeschränkungen verhängt wurden, von sich aus den Vertrieb des Heftes, das Bedürftige auch in Erlangen auf der Straße verkaufen.


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Christian Oberdellmann hatte am Mittwoch seinen vorläufig letzten Verkaufstag am Hauptbahnhof in der Hugenottenstadt. Der langjährige Verkäufer hat sich bei seinen Stammkunden deshalb bis auf Weiteres verabschiedet. Die um sich greifende Infektionserkrankung schlägt sich schon länger auf sein Geschäft nieder, obwohl er in den vergangenen Tagen immer einen großen Abstand zu den Kunden eingehalten habe. "Auch Stammkunden wollen bei mir jetzt nichts mehr kaufen", berichtet er den Erlanger Nachrichten am Telefon, "sondern haben mir ganz schnell einfach so das Geld hingelegt, ohne dafür ein Heft zu nehmen".


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Dass die Käufer Angst haben, kann er verstehen. Er selbst sei auch vorsichtig: "Immerhin bin ich schon 76, wenn ich mich anstecken würde, wäre das schlimm."

Wichtige Verdienstquelle für Bedürftige

Das aber kann wohl nicht passieren. Der Straßenkreuzer nämlich hat seinen Vertrieb komplett eingestellt, das heißt, die Verkäufer können sich in den neuen Räumen am Nürnberger Maxplatz bis voraussichtlich 19. April keine Hefte mehr zum Verkauf abholen. Der Verein folgt damit den Empfehlungen der Staatsregierung, möglichst jede Ansteckungsgefahr in den nächsten Wochen zu vermeiden.

"Wir wollen Verkäufer, ehrenamtliche Vertriebsmitarbeiter und Kunden gleichermaßen vor einer möglichen Infektion schützen", sagt Chefredakteurin Ilse Weiß auf Anfrage.

Für viele Verkäufer, die oft bedürftig oder wohnungslos sind bzw. ein winziges Einkommen haben, ist der Straßenkreuzer eine wichtige Verdienstquelle. Die Frauen und Männer, die das Heft in etlichen Städten im Großraum anbieten, verkaufen das Heft für 2,20 Euro, davon gehen 1,10 Euro an den Verkäufer selbst. "Es trifft die Ärmsten der Armen", sagt Weiß, "und das ist ganz besonders schlimm."


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Zudem ist für die Betroffenen der Verkauf oft einer der wenigen oder sogar der einzige soziale Kontakt überhaupt: "Wenn die Begegnungen auf der Straße wegfallen, haben manche gar keine Ansprache mehr", erläutert die Journalistin. Auch die beliebten Straßenkreuzer-Führungen zu Nürnbergs Sozialeinrichtungen sind bis auf Weiteres abgesagt, ob die Straßenkreuzer-Uni, ein Bildungsangebot für Arme, regulär ins Sommersemester starten kann, ist ebenfalls unklar.

Doch die Straßenkreuzer-Organisatoren haben auch für diesen Notfall, der sozial Schwache mit besonderer Wucht erwischt, eine kreative und karitative Lösung gefunden – und den Verkauf ins Internet und in die sozialen Netzwerke verlegt. Unter der Aktion "Soli für Straßenkreuzer" können sich Interessierte die aktuelle Ausgabe "Raus mit uns!" als Download herunterladen und einen selbstgewählten Betrag dafür spenden. Auch das April-Heft erscheint unter dem Titel "Lesen geht immer" am 1. April zunächst als reine Online-Version und kommt nach derzeitigem Stand am 20. April in den Verkauf.

Die Einnahmen aus den Downloads kommen den Verkäufern zugute. Bei der Bank für Sozialwirtschaft (DE73700205000009815500, BIC: BFSWDE33MUE) kann unter Verwendungszweck "Soli für Straßenkreuzer" ebenfalls gespendet werden. Für das Menschliche haben sich Weiß und ihre Mitstreiter auch etwas ausgedacht: Sie fragen in den kommenden Tagen und Wochen Verkäufer nach deren Gefühlen während der Corona-Zeit. Zu finden sind die Geschichten und Bilder auf Facebook und Instagram.

Hintergründe zu den Zahlen vom Robert-Koch-Institut finden Sie hier.

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