Ausgezeichnete Doktorandinnen

Erlangen: Künstliche Intelligenz im Dienste der Gesundheit

19.11.2021, 10:30 Uhr
Symbolfoto  Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU).

© Daniel Karmann, dpa Symbolfoto  Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU).

Im Büro der Pressestelle der FAU sitzen Julia Yip (24) aus Brasilien und Misha Sadeghi (30) aus Teheran, die für ihre Doktorarbeit forschen. Beide haben den President‘s Welcome Award der Universität Erlangen für KI-Studenten errungen und residieren für ein Jahr mietfrei im "Brucklyn", einem Apartmenthaus in Bruck. Julia Yip lebt bereits seit einem Jahr in Deutschland, Misha Sadeghi, die bislang im Iran studiert hatte, ist gerade im Oktober hier angekommen. Und beiden scheint es in Erlangen sehr zu gefallen.

Wichtig in der Medizin

Entwickeln Künstliche Intelligenz weiter: die Doktorandinnen Julia Yip (links) und Misha Sadeghi.

Entwickeln Künstliche Intelligenz weiter: die Doktorandinnen Julia Yip (links) und Misha Sadeghi. © Reinhard Kalb

Worum geht es in den Englisch verfassten Doktorarbeiten? Die Titel lauten: „Empathokinästhetische Bewertung und Mustererkennung von Biomarkern für Gesundheitszustand, Wohlbefinden und Prognosen von Palliativpatienten“ bzw. "Empathokinästhetische Biofeedback-Wahrnehmung bei depressiven Patienten“.

Gemeint ist damit, wie Künstliche Intelligenz und Medizin Hand in Hand gehen. Julia forscht an Symptom-Mustern, die todkranke Patienten im Laufe ihrer schweren Krankheit und ihres gesundheitlichen Verfalls entwickeln. Die Theorie nimmt an, dass all diesen Mustern eine „basic line“ zugrundeliegt, ein gemeinsamer kleinster Nenner.

Diesen Nenner gilt es mittels Algorithmen herauszufinden. Sollte die Mustererkennung gelingen, könnte die Palliativmedizin den Patienten mehr Lebensqualität verschaffen.

Muster werden erkannt

Auch Misha geht von Verhaltensmustern aus. Depressive Menschen entwickeln in Mimik, Gestik und Bewegung ebenfalls bestimmte Muster. Diese zeigen sich früh und lassen Rückschlüsse auf einen Ausbruch der Depression zu. Ein Symptom ist etwa der leere Blick. Die Forschung versucht, mittels Kamera und Eye-Tracking Gesunde und Kranke zu beobachten und die gesunden bzw. kranken Symptome dem Computer beizubringen, auf dass dieser solche Anzeichen früh erkennt.

Klingt gut, wird aber schnell kompliziert. Schließlich gibt es unterschiedliche Kulturen mit divergierenden Verhaltensweisen. Im einen Land blickt man den Menschen offen ins Gesicht, entwickelt im Gespräch eine expressive Mimik und Gestik, woanders scheut man den direkten Augenkontakt und übt sich in Zurückhaltung.

Da muss die Künstliche Intelligenz erst den Kontext lernen. „Das beginnt mit kleinen Schritten hier in Deutschland“, erzählt die Doktorandin. Aber gibt es nicht schon in Deutschland Unterschiede? Eine rheinische Frohnatur gibt sich anders als ein zugeknöpfter Schwabe. Was mag dann bloß in den Tiefen der vielschichtigen Franken lauern?

Intuition und Inspiration

Wie sehen die Doktorandinnen die Zukunft der Künstlichen Intelligenz? Was den Menschen von der Rechenmaschine unterscheidet, ist die Intuition. Ob in Kunst oder Wissenschaft, bahnbrechende Erfindungen kommen nicht allein durch analytische Schärfe, sondern durch Inspirationen aus dem Unterbewusstsein zustande.Wird eines Tages die KI über Bewusstsein und Intuition verfügen? Misha Sadeghi hält dies durchaus für möglich, Julia Yip ist skeptisch. „Der Mensch will die KI nutzen, um Zustände zu verbessern. Was ist der Sinn einer bewussten KI-Maschine?“

Freilich kann der Mensch die KI instrumentalisieren. Psychologische Früherkennung ist nützlich und lobenswert. In der Endvision könnte ein Smartphone das Gesicht seines Benutzers lesen und anhand der Mimik feststellen, ob in seinem Inneren sich etwas zusammenbraut. Und dann? Erfolgt bei einem Streitgespräch per App eine Eilmeldung an die Krankenkasse oder an die Polizei?

Wie steht es mit der Zukunft der beiden Doktorandinnen? Julia wie Misha blicken nicht weiter als drei Jahre in die Zukunft. Ist der Doktor geschafft, wollen beide wahrscheinlich in Deutschland bleiben und in die Forschung gehen. Ansonsten halten sie sich alle Türen und Möglichkeiten offen. Auch ein schönes Privileg: Der Mensch entscheidet, was er zu tun gedenkt. Und nicht eine Maschine.

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