Im Corona-Schuljahr: Unterrichten bald Juristen in Erlangen?
6.9.2020, 06:00 UhrEin Jurist als Lehrer im Klassenzimmer? Wie das geht, weiß Siegfried David, Schulamtsdirektor und Fachlicher Leiter am Staatlichen Schulamt im Landkreis Erlangen-Höchstadt und in der Stadt Erlangen, wenige Tage vor Schulbeginn nicht. Aber gut möglich, dass dieser Fall eintritt, wenn nicht in Davids Zuständigkeitsbereich, dann vielleicht irgendwo anders in Mittelfranken.
Auf der Bewerberliste für die sogenannten Corona-Team-Lehrkräfte, die das Stammpersonal im neuen Schuljahr unterstützen sollen, stehen unter anderem Juristen, sagt David. Nicht-Pädagogen werden, so sieht es das Kultusministerium vor, im Schuljahr 2020/21 dort den Unterricht übernehmen, wo sich insbesondere pandemiebedingt Lücken auftun.
Die entsprechenden "Damen und Herren", wie David die Bewerberinnen und Bewerber nennt, müssen ein abgeschlossenes Hochschulstudium vorweisen. Unter den Bewerbern für Schulen im Bezirk Mittelfranken sei eine "sehr große Bandbreite", berichtet der Fachliche Leiter, die von Gestaltungspädagogen eben bis hin zu Juristen geht.
Team-Lehrkraft als verlängerter Arm der Lehrkraft?
Letzterer stehe dann in einer Grundschule vor Zweit- und Drittklässlern und sei der "verlängerte Arm der Lehrkraft", die von zuhause aus alles vorbereitet hat und alles macht, vermutet David. Welches Fach ein Jurist unterrichten könnte, kann sich der Fachliche Leiter nicht wirklich vorstellen. "Wahrscheinlich müssen Lehrkraft und Ersatz mit Headset und Mikrofon arbeiten, es steht halt jemand vor der Klasse."
Seine Behörde hat aus mehreren hunderten Bewerbern für ganz Mittelfranken 50 ausgewählt und dabei besonderen Wert auf Kriterien wie Wohnort und Studium gelegt. "Wir haben darauf geachtet, ob die Interessenten an der Universität mit Pädagogik zu tun hatten oder schon mit Kindern womöglich ehrenamtlich gearbeitet haben."
Daraufhin hat das Staatliche Schulamt diese Frauen und Männer aufgefordert, sich ganz konkret für das Schulamt in Erlangen zu bewerben. Noch sind David und seine Kollegen am Sichten der rund 30 Bewerbungsunterlagen ("da ist schon ein Schwund"), ab Anfang nächster Woche soll es Bewerbergespräche geben. Danach, so erläutert David, werde man der Regierung von Mittelfranken empfehlen, bestimmte Team-Lehrkräfte einzustellen.
Wer genau also ab Dienstag (8. September) die Pädagogen und Pädagoginnen unterstützt, weiß David wenige Tage zuvor nicht. Auch an welchen Schulen in Erlangen und im Landkreis die Team-Lehrkräfte dann Dienst tun, ist noch unklar. "Wir müssen natürlich schauen, wo die Not am Größten ist."
Das Staatliche Schulamt hat ein Kontingent von 208 Stunden durch Team-Lehrkräfte – wenn die dafür eingesetzten Personen Vollzeitstellen haben, sind das sieben "Köpfe".
Nach derzeitigem Stand reichen sie aus, um jene elf Pädagogen (in Voll- und Teilzeit) zu ersetzen, die vom Präsenzunterricht befreit sind. "Diese Kollegen gehören altersbedingt oder aufgrund von Vorerkrankungen zu Corona-Risikogruppen und haben ein ärztliches Attest", sagt David.
Hinzu kommen etliche Schwangere, die nicht unterrichten dürfen oder können, und von – wie es in der Ministerialsprache heißt – mobilen Reserven ersetzt werden, also von Lehrern, die für eine bestimmte Zeit vom Ministerium dorthin geschickt werden, wo sie am nötigsten gebraucht werden.
Von großer personeller Not ist bei den städtischen Schulen in Erlangen nichts zu spüren: "Nach derzeitigem Stand werden alle Lehrkräfte zum Start anwesend sein", sagt Anke Steinert-Neuwirth, die Referentin für Kultur, Bildung und Jugend.
So benötige man momentan keine zusätzlichen Team-Lehrkräfte. Sobald sich herauskristallisiere, dass Pädagogen ausfallen, etwa weil sie zu einer Risikogruppe gehören, werde die Stadt sofort einige befristet einstellen, betont die Ressortchefin.
Lehrerverband: Da sind viele Fragen offen
Solche Nachrichten dürften Stefan Bühler freuen. Der Uttenreuther ist beim Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) Mittelfranken Vorsitzender des Kreisverbandes Erlangen-Stadt. Noch wisse man wenig darüber, wie die Teamlehrkräfte eingesetzt und angelernt würden. "Da sind viele Fragen offen."
Seine BLLV-Kollegin und Vorsitzende für das Erlanger-Oberland, Elke Bonhorst, geht mit ihrer Kritik etwas weiter: "Team-Lehrkräfte, das klingt zunächst sehr positiv, aber wie es in der Praxis aussieht, weiß keiner." Wichtig sei, dass vor allem an Grundschulen (sie selbst unterrichtet in Heroldsberg) Team-Lehrkräfte mit pädagogischer Erfahrung kommen. "Das ist bei uns das A und O."
Das Kultusministerium versuche seit geraumer Zeit, "über alle möglichen Kanäle" fehlende Stunden zu besetzen. Der BLLV werde die Personalsituation in den nächsten Wochen genau beobachten. "Aber eigentlich", sagt Bonhorst, "war die Grenze des Machbaren an vielen Schulen schon lange vor Corona erreicht gewesen."
Für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sind solche Mitarbeiter zwar notwendig, um den Personalmangel beheben zu können. Doch müssten diese "Seiteneinsteiger" entsprechend pädagogisch qualifiziert werden, fordert der aus Erlangen stammende bayerische Landesvorsitzende, Anton Salzbrunn.
Das Kultusministerium freut sich hingegen über eine "große Resonanz", man sei mit den Bewerbungen "sehr zufrieden", sagt ein Sprecher.
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