Es war Mord: Urteil im Fall Sophia gesprochen
18.9.2019, 19:42 Uhr"Sie war neugierig. Weltoffen. Fröhlich", sagt Bernhard Heim über Sophia Lösche. Der Richter am Landgericht Bayreuth kannte sie nicht. Doch Zeugen beschrieben sie, Fotos von ihr sind in den Akten. "Eine Flut an Bildern", stellt Heim fest. "Keine Aufnahme, auf der sie nicht lächelt. Im harten Gegensatz dazu stehen die Bilder von ihrem Leichnam."
Am 14. Juni 2018 musste Sophia sterben. Eine 28-Jährige mit Herz und Hirn, eine Studentin, die ihre Zukunft vor sich hatte und sich in der Flüchtlingshilfe engagierte.
"Ich will die Welt sehen", sagte sie am 22. März 2018 im Paulaner-Gemeindehaus in Amberg. Ihr Beitrag zu den Internationalen Wochen gegen Rassismus ist bis heute im Nachrichten-Portal Oberpfalz-Netz zu lesen. Ihre Stimme wird nie wieder zu hören sein.
Der Lkw-Fahrer Boujemaa L. (42) zertrümmerte ihr mit einem Sechskantschlüssel den Schädel – weil sie ihn zurückwies. Denkbar, dass sie ihm eine Ohrfeige verpasste, vermuten die Richter. Ein Schlag ins Gesicht, im doppelten Sinn: Eine narzisstische Kränkung, L. habe sich in seiner Ehre gekränkt gefühlt. L., der Gerichtspsychiater charakterisierte ihn als "leicht reizbar", schlug wutentbrannt auf Sophia Lösche ein.
Sophias Familie akzeptiert das Urteil
Im Sitzungssaal drängt sich das Publikum. Viele Freunde von Sophia Lösche sind gekommen, es ist mucksmäuschenstill. Eine junge Frau schluckt stumm, sie legt ihren Kopf auf die Schulter ihres Freundes. Johannes Lösche, Sophias Vater, weint tonlos, seine Frau Elisabeth Maria streichelt seinen Arm. Richter sind keine Rechtsprechungsroboter – und Richter Heim, der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer, spricht L. direkt an: "Dafür, was Sie getan haben, müssen Sie nicht mit dem Leben bezahlen, auch wenn Sie das mehrfach angeboten haben. Ihr Verbrechen wird Sie wohl ein Leben lang verfolgen, doch auch die Familie und die Freunde des Opfers wird dieser Verlust zeitlebens belasten", sagt er.
Es ist ungewöhnlich, dass sich Richter über die sachliche Begründung des Urteils hinaus Anmerkungen erlauben. Heim wendet sich auch an die Eltern und an Andreas Lösche, den Bruder der Ermordeten. "Wir hoffen, dass die Familie und die Freunde einen Weg finden, mit diesem Verlust zurechtzukommen."
Immer wieder hatten die Lösches erklärt – als Nebenkläger waren sie an jedem Sitzungstag anwesend – dass sie sich den Strafprozess nicht zumuten, "damit Hass und Rache in uns wachsen“. Die Wahrheit nicht zu erfahren, dies mache sie "krank". Während der Beweisaufnahme wahrten sie die Haltung. Auch als der Angeklagte jammerte, dass er sich das Leben nehmen wollte oder Sätze äußerte wie „Sie können mich verurteilen zum Tod. Und meine Organe spenden!“ blieb die Familie ruhig.
Und nun nehmen die Lösches das Urteil an. Der Vater, ein pensionierter evangelischer Pfarrer, erklärt: "Uns ging es nie um Genugtuung. Ich habe fast Mitleid mit dem Angeklagten." Auch Bruder Andreas erklärt: "Es muss irgendwann mal Schluss sein. Kein Urteil der Welt wird meine Schwester wiederbringen."
Heimliche Fotoaufnahmen
Zwei Monate wurde verhandelt, die Richter glauben die bekundete Reue des Boujemaa L. – dazu passt, dass auch Verteidiger Karsten Schieseck meint, dass der Angeklagte "dazu neigt, das Urteil anzunehmen". Ob er auf Revision verzichtet, entscheidet sich in den nächsten Tagen.Sophia L. studierte in Leipzig, sie stieg am 14. Juni 2018 gegen 18 Uhr am Rastplatz Schkeuditz in den blauen Lkw des Boujemaa L.: Zwischen 21 und 24 Uhr, davon sind die Richter überzeugt, wurde sie von L. in der Führerkabine erschlagen.
Heute beweist die Auswertung des GPS-Systems des Lasters, dass L. in diesen Stunden auf dem Parkplatz Sperbes nahe Plech hielt. Eine letzte Gelegenheit für einen Annäherungsversuch. Dass ihm die junge Frau gefiel, belegen allein die Fotos, die er mit seinem Handy heimlich von ihr machte – und zwar schon bevor er ihr eine Mitfahrgelegenheit anbot. Als Boujemaa L. in Sperbes stoppte, war Sophia Lösche fast zu Hause. Sie wollte nach Amberg zu ihren Eltern, der Vater feierte Geburtstag.
Sein Verbrechen gab L. bereits zu Prozessbeginn zu. Eine der Kernfragen des Verfahrens war, was ihn zu der Bluttat trieb. Er selbst behauptet, dass er die Frau im Streit erschlug, sexuelle Motive bestreitet er. Anklägerin Sandra Staade warf L. ursprünglich vor, sich an Sophia vergangen zu haben. Um den Übergriff zu verbergen, habe er sie getötet. Doch die Rechtsmediziner konnten keine Spermaspuren am Leichnam finden – und die Anklägerin rückte von diesem Motiv ab.
Aus rechtlicher Sicht sind die Richter bei dem ursprünglichen Vorwurf der Staatsanwältin geblieben: L. beging einen Mord, um eine andere Straftat zu verschleiern: "Schon nach dem Geständnis des Angeklagten war klar, dass dies hier ein Mord aus Verdeckungsabsicht ist", heißt es in der Urteilsbegründung.
L. hatte Sophia mit dem Radmutterschlüssel schwer verletzt, in Paragrafen gegossen eine gefährliche Körperverletzung. L. selbst gab zu, dass er den Lkw verließ, um sich zu beruhigen. Er hätte Rettungskräfte rufen oder Sophia auf dem Rastplatz zurücklassen können. "Doch er kam zu dem Schluss, dass er Sophia beseitigen muss." Nach etwa zehn Minuten kehrte er zurück, und erschlug sie – ein Mord, um die gefährliche Körperverletzung zu verdecken.
In der Nacht zum 15. Juni 2018 wartete Johannes Lösche vergeblich auf die sonst so zuverlässige Tochter.
Plakat mit Sophia L. bei rechter Demo: Familie wehrt sich
Der Fall Sophia - eine Chronologie der Ereignisse:
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