Prozessauftakt: Fernfahrer gesteht Tötung von Sophia Lösche

Ulrike Löw

23.7.2019, 11:06 Uhr
Seit Dienstag muss sich der Fernfahrer Boujemaa L. vor dem Landgericht Bayreuth verantworten. Er soll Sophia Lösche getötet haben.

© Daniel Karmann/dpa Seit Dienstag muss sich der Fernfahrer Boujemaa L. vor dem Landgericht Bayreuth verantworten. Er soll Sophia Lösche getötet haben.

Schon vor Prozessbeginn wird vor dem Eingangsportal des Landgerichts demonstriert "Gegen Sexismus und Victim-Blaming" ist auf den Transparenten zu lesen - ein gutes Dutzend Zuhörer lauscht, als eine Aktivistin eine Rede gegen Frauenfeindlichkeit hält und sich gegen die Verdrehung von Opfer und Täter wendet. Nein, so die Aktivistin, eine Frau, die einen Minirock trage, sei nicht selbst schuld, wenn sie Opfer sexueller Gewalt werde.

Rund 20 Freunde von Sophia Lösche versammelten sich zum Prozessauftakt vor dem Bayreuther Landgericht, um gegen Sexismus und Victim-Blaming zu demonstrieren.

Rund 20 Freunde von Sophia Lösche versammelten sich zum Prozessauftakt vor dem Bayreuther Landgericht, um gegen Sexismus und Victim-Blaming zu demonstrieren. © Ulrike Löw

Eine Rede wohl im Sinn der Angehörigen, mussten sie doch hinnehmen, dass ihre Tochter im Internet "als selbst schuld" beschimpft wurde, da sie doch freiwillig als Tramperin in den Lastwagen des Marokkaners eingestiegen war. Die Eltern der Getöteten und Andreas Lösche, ihr Bruder, treten in dem Verfahren als Nebenkläger auf. Im vergangenen Jahr suchte die Familie immer wieder die Öffentlichkeit. In Interviews wiesen sie darauf hin, dass es in diesem Strafverfahren um den Mord an Sophia, nicht um Gewalt von Flüchtlingen gehe, sondern um Gewalt gegen Frauen.

Kann es für Eltern etwas Schlimmeres geben, als die eigene Tochter durch ein Gewaltverbrechen zu verlieren? Die Lösches mussten ertragen, dass auch noch das Verbrechen an ihrer Tochter missbraucht wurde. Nur einer der Anlässe: Teilnehmer einer AfD-Demo in Chemnitz trugen bei einem "Schweigemarsch" im vergangenen Jahr das Foto der Studentin im Großformat durch die Innenstadt.

Fahrer bestreitet sexuellen Übergriff

"Wir lassen nicht zu, dass das Andenken an unsere Sophia für ausländerfeindliche Zwecke missbraucht wird", erklärte die Familie danach. "Diese Veranstaltung war kein Ort der aufrichtigen Trauer um Sophia oder sonst irgendjemanden, sondern ein Ort der Hetze und der Niedertracht." Sophia habe sich in jahrelanger politischer Arbeit immer entschieden gegen Ausgrenzung, Rassismus und Menschenfeindlichkeit eingesetzt, betonten sie.

Nun hoffen sie, dass die Wahrheit ans Tageslicht kommt. "Als Angehöriger will man sie wissen, auch wenn sie noch so grausam ist", sagt Andreas Lösche.


Plakat mit Sophia L. bei rechter Demo: Familie wehrt sich


Zu Prozessbeginn erklärt der Angeklagte Boujemaa L., vertreten durch den Bayreuther Rechtsanwalt Karsten Schieseck, dass er Sophia Lösche getötet hat. Über viele Wochen sei es ihm nicht gelungen, sich die Tat selbst einzugestehen - ihm fehlte dafür der Mut und die Kraft. Nun wolle er sich dafür bei der Familie entschuldigen, auch wenn ihm klar sei, dass eine Entschuldigung dafür völlig unzureichend sei.

Der Grund, dass er geschafft habe, sich zu einem Geständnis durchzuringen, sei, dass er erklären wolle, wie sich die Tat tatsächlich abgespielt habe. Die Familie habe ein Recht darauf, dies zu wissen. Er wolle den Mutmaßungen der Staatsanwaltschaft entgegen treten - dass es einen sexuellen Übergriff gab, bestreitet er.

Er habe der Tramperin eine Mitfahrgelegenheit geboten, mit Sophia Lösche habe er sich auf deutsch und englisch unterhalten, sie habe einige arabische Vokalen beherrscht, größtenteils habe man aber mit Händen und Füßen kommuniziert. Die Studentin habe einen Joint im Lastwagen geraucht. Als er die Reifen des Lastwagen kontrollierte, habe er beobachtet, wie sie in der Kabine seine Sachen durchwühlte. Er sei ärgerlich gewesen, hatte er ihr doch geholfen. Sie unterstellte ihm angeblich, dass er ihr einen Brocken Hasch gestohlen habe und verpasste ihm eine Ohrfeige.

17 Zeugen sollen aussagen

Zu diesem Zeitpunkt habe er die Ratsche, von der Kontrolle der Reifen, noch in der Hand gehalten. Er schlug ihr damit auf den Kopf. Er habe gehofft, dass nicht mehr passiert sei - und geriet in Panik. Als ihm klar wurde, dass sie tot ist, wischte er ihr Blut mit ihren Kleidern auf. Es folgte eine Irrfahrt nach Spanien, er habe nicht gewusst, was er mit dem Leichnam machen solle. Er sei wütend gewesen, dass ein solch kleiner Streit zu solch einem tragischen Ergebnis geführt habe.

Er verschnürte den Leichnam und übergoss den leblosen Körper in Nordspanien mit Benzin und zündete ihn an. Schnellstmöglich habe er den Platz verlassen und setzte seine Fahrt fort. Aufgrund eines Motorschadens habe der Lastwagen begonnen zu brennen, er habe gehofft, dass der Brand alle Spuren verwischt, so der Angeklagte. Später warf er seine Arbeitskleidung, an der noch Blut klebte, an einem anderen Rastplatz in den Müll. Dass dort Kameras hingen, war ihm nicht bewusst.

Wie glaubhaft diese Version ist? Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Bayreuth hat zwölf Verhandlungstage mit 17 Zeugen und drei Sachverständigen angesetzt, um zu rekonstruieren, was damals geschah.

Fest steht, dass Sophia Lösche an der Aral-Tankstelle der Raststätte Schkeuditzer Kreuz, an der Autobahn 9 in Sachsen gelegen, am 14. Juni 2018 gegen 18 Uhr in den Lastwagen einstieg. Dies hatte sie Freunden per Textnachricht via Handy mitgeteilt. Es war ihr letztes Lebenszeichen. Oberstaatsanwältin Sandra Staade führt an, dass Boujemaa L. schon am Tag vorher auf dem Parkplatz Birkenwald auffiel - weil er sich in seinem Führerhaus die Zeit durch Voyeurismus und Masturbieren vertrieb. Auch am 14. Juni, kurz bevor Sophia Lösche bei ihm einstieg, soll er sich sexuell erregt haben - einige Stunden später wurde er laut Anklage übergriffig.

Mehrfach auf Kopf geschlagen

Als Tatort wird Oberfranken vermutet, noch am Abend ihres Verschwindens verging sich Boujemaa L. "auf unbekannte Art und Weise", so die Anklagevorwürfe, an einem Parkplatz im oberfränkischen Sperbes an der Frau. Weil er befürchtete, dass sie ihn wegen seiner Übergriffe anzeigen würde, schlug er ihr mit einer Eisenstange oder einem Eisenschlüssel mehrfach auf den Kopf, davon geht die Staatsanwaltschaft aus.

Es sind die ausgewerteten GPS-Daten aus dem Lastwagen, die dies nahe legen. Trifft dies zu, hätte es Sophia Lösche nicht gerettet, wenn die Polizei früher die Fahndung herausgegeben und schneller gearbeitet hätte. Vor allem Andreas Lösche hatte die Polizeiarbeit massiv kritisiert. Seine Familie Lösche sei mit ihren Sorgen, als sie Sophie als vermisst meldeten, nicht ernst genommen worden.

Die Eltern der Studentin und ihr Bruder treten im Prozess als Nebenkläger auf. Die Familie kritisiert, dass die deutschen Ermittler Sophia Lösche lange als Vermisstenfall einstuften, obwohl von Anfang an der Verdacht auf ein Gewaltverbrechen vorgelegen habe. Auch habe die Kommunikation zwischen den Bundesländern Bayern und Sachsen nicht funktioniert - drei Tage stritten sich die Dienststellen über Zuständigkeiten. Andreas Lösche, Bruder der Ermordeteten, lobt dagegen die spanische Polizei als "vorbildlich". Dort sei "in Windeseile" gearbeitet worden.

Auch erreichten die Familie unter anderem Hass-E-Mails, wie Andreas Lösche nun berichtet. Diese und Äußerungen in sozialen Medien wurden von der bayerischen Zentralstelle Cybercrime in Bamberg geprüft, wie ein Sprecher bestätigt. In einem Fall sei ein Täter aus dem Raum Leipzig identifiziert worden. Das Verfahren habe jedoch wegen Schuldunfähigkeit eingestellt werden müssen.

 

Der Fall Sophia - eine Chronologie der Ereignisse:

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