Fall Mollath: Justiz strafte Gutachterin nach Kritik ab

28.11.2013, 07:00 Uhr
Fall Mollath: Justiz strafte Gutachterin nach Kritik ab

© NDR

Hanna Ziegert bekommt wieder Aufträge, „sogar mächtig“. Dazu bedurfte es allerdings eines klärenden und konstruktiven Gesprächs mit der Münchner Justizspitze und dem Justizministerium. Die Sachverständige erhält Gutachtenaufträge allerdings nur von den Gerichten, nicht aber von Staatsanwaltschaften, schon seit 1997 nicht mehr. Das ist ihr sogar ganz lieb, sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion.

Immerhin hat die Strafverfolgungsbehörde ihr nun zugesichert, man werde sie wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn ein Gericht sie als Gutachterin einsetzen will.

Wie es dazu kam? Moderator Reinhold Beckmann hatte am 15. August eine hochkarätige Runde versammelt.„Zu Unrecht in der Psychiatrie - der Fall Gustl Mollath“ war das Motto der ARD-Talkshow. Neben Rechtsanwalt Gerhard Strate und dem eben aus der Psychiatrie entlassenen Nürnberger Justiz- und Psychiatrieopfer Mollath selbst, saß die Münchner Psychiaterin Dr. Hanna Ziegert am Tisch.

Auf die Frage, ob es ein Fehler Mollaths war, sich jeder Begutachtung zu verwehren, antwortete Ziegert: „Ich weiß nicht, ob ich mich jemals begutachten lassen würde.“ Es sei „wahrlich nicht selbstverständlich, dass ich zu jedem forensischen Psychiater Vertrauen entwickeln kann“. Noch mehr: Die Auswahl von Gutachtern durch Staatsanwaltschaft und Gericht richte sich „immer mal wieder“ danach, welches Ergebnis hinsichtlich der Schuldfähigkeit vom Auftraggeber gewünscht werde.

Viele Gutachter seien auf Aufträge der Staatsanwaltschaft angewiesen und achteten deshalb darauf, „nicht in Ungnade zu fallen“. Die Zustände im Maßregelvollzug im Freistaat seien „vielleicht doch etwas anders als in anderen Teilen Deutschlands - ich habe manchmal das Gefühl, es geht um Mailand und Sizilien, und Bayern wäre dann Sizilien“.

„Innere Grundhaltung“

Die Staatsanwaltschaft München I. reagierte sofort. Hanna Ziegert, die seit über 30 Jahren bundesweit als Gutachterin tätig ist, wurde gleich in sechs Verfahren „wegen Besorgnis der Befangenheit“ abgelehnt. Die Strafverfolger nahmen dabei direkt Bezug auf die Fernsehsendung: Man habe „Grund zu der Annahme, dass die Sachverständige eine innere Haltung hat, die ihre Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend und nachhaltig beeinflussen kann“.

In gleichlautenden Ablehnungsverfügungen heißt es weiter: Die im TV ausgesprochene Kritik lasse „ernsthaft daran zweifeln, ob es der Sachverständigen aufgrund ihrer inneren Grundhaltung zur Justiz möglich ist, das Gutachten tatsächlich unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten“. Dem Maßregelvollzug in Bayern unterstelle Ziegert „offensichtlich mafiöse Tendenzen“.

Die Fachärztin widersprach umgehend in einer Stellungnahme ans Landgericht München I. Viele ihrer Gutachter-Kollegen teilten ihre Kritik. Die Reaktion der Staatsanwaltschaft trage nicht dazu bei, diese Bedenken zu zerstreuen.

Mit dem Vergleich aus Italien habe sie nur auf ein „gewisses Nord-Süd-Gefälle innerhalb der Justizvollzugsanstalten“ hingewiesen, schrieb die Psychiaterin; künftig werde sie dies lieber mit den Antipoden Paris und Marseille umschreiben.

Sowohl das Landgericht München als auch Augsburg lehnten die Anträge der Staatsanwaltschaft, Ziegert wegen Befangenheit abzulehnen, in aller Deutlichkeit zurück. Die Äußerungen bei „Beckmann“ bewegten sich „im Rahmen des Rechts auf freie Meinungsäußerung“.

„Wollen die Staatsanwaltschaften und Gerichte überhaupt unabhängige Gutachter?“, fragt ein bekannter Nürnberger Sachverständiger. „Gutachter sollten nicht nach Gutdünken, sondern nach einem nachvollziehbaren System, etwa nach Buchstaben-Ordnung wie die Richter, ausgewählt werden.“

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