Fürth verliert den Kioski: "Wo wart ihr denn die ganze Zeit?"

17.4.2020, 11:00 Uhr
Fürth verliert den Kioski:

© Foto: Hans-Joachim Winckler

"18 Jahre finnische Kulturguerilla", wie er es selbst nennt, sind nicht etwa von der Corona-Krise beendet worden – die Schließung war von langer Hand geplant.

Herr Trillitzsch, könnte es einen besseres Timing geben?

In der Tat. Ich bin gerade nicht nur aus dem Laden in der Hirschenstraße ausgezogen, sondern auch aus meiner Wohnung. Mein Mietvertrag für den Kioski wäre noch länger gelaufen, doch glücklicherweise hat mir der Verein Bluepingu als Nachfolger einiges an Druck abgenommen. Gleichzeitig einen Laden und zwei Wohnungen zu haben – da könnte ich mich als freischaffender Künstler auch aufhängen.


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Was genau entgeht Ihnen denn derzeit?

Ich habe drei Tourneen abgesagt bis Mitte Mai, das sind 35 Konzerte, davon 18 in Kanada. Von den Gagen hätte ich drei Monate leben können. Und ich gehe davon aus, dass das Ganze noch länger dauern wird.

 

Ein Polster für schlechte Zeiten haben Sie nicht angelegt?

Ich bin jetzt 54 und habe erst vor vier Jahren geschafft, nur von der Musik zu leben. Es ist ein steiniger Weg, wenn man ausschließlich sein eigenes Ding machen will. Ich muss keine Hochzeiten und keine Cover-Musik spielen, die Ackerei hat sich endlich gelohnt. Ich könnte das ganze Jahr europaweit touren. Klar hat man immer wieder mal Flauten, aber gerade bekommen wir Künstler das volle Programm ab. Ich konnte nicht wirklich etwas zurücklegen, weshalb ich auch schon vor einem Jahr beschlossen habe, den Laden loszuwerden. Er lief zäh, auch weil ich oft auf Tour bin und nicht regelmäßig aufsperren konnte.

 

Entstehen im unfreiwilligen Homeoffice denn nun wenigstens neue Lieder?

Es gibt Kollegen, die können auf Knopfdruck kreativ sein, das trifft aber bei mir leider überhaupt nicht zu. Ich konnte mich noch nie hinsetzen und ein Album schreiben. Bei mir entstehen immer mal wieder zwei bis drei Songs, bis es irgendwann ein Album ergibt.

 

Vor 18 Jahren haben Sie den Kioski in der Schwabacher Straße eröffnet, den einzigen Plattenladen mit finnischer Musik in Deutschland. Warum?

Ich wollte die Musik meiner eigenen Labels und andere gute Musik, die ich vorher per Mailorder vertrieben habe, auf einer Verkaufsfläche präsentieren. Der Umsatz lief auch gleich überraschend gut. Der Laden ist dann aber sehr schnell zu mehr geworden, zu einer Kulturplattform.

Was bleibt im Gedächtnis?

Ich habe immer wieder meine Lieblingsmusiker für Auftritte gewinnen können. Marko Haavisto zum Beispiel, der Musiker und Darsteller in den finnischen Filmen von Regisseur Aki Kaurismäki, ist zur Livesendung des Zündfunks beim Einzug ins Babylon 2007 aufgetreten. Um ihn zu finanzieren, habe ich ihm gleich eine kleine Deutschlandtour gebucht. Eine sehr aufwändige Schwachsinnsidee, aber da war ich einfach Fan, nach dem Motto: Es ist so unrealistisch, dass dieser Star in so einem kleinen Laden auftritt – also muss man es machen. Oder Geoff Berner, der nach dem Klezmer-Festival beim von mir initiierten Sing-In aufgetreten ist. Mit drei Liedern, wie die anderen Künstler auch. Für einen Superstar wie ihn sind solche Abende wie ein Labor, er kann Stücke ausprobieren. Wir sind Freunde geworden und wären nächste Woche gemeinsam auf Tour.

 

Wird der Kioski für immer verschwinden?

Die Internetseite kioski.de wird es weiterhin geben. Auch bei passenden Veranstaltungen öffne ich ihn immer wieder mal als "Pop Up Shop", wenn es zeitlich machbar ist. Der Kioski wird auch noch aus dem Hintergrund als Mitveranstalter und Finnland-Connection auftreten.

 

In Fürth war Kioski der letzte Plattenladen. Wird es solche Geschäfte weiter geben?

Ich hoffe sehr. Ich denke, dass zumindest Mono-Ton in Nürnberg recht solide aufgestellt ist. Ob Fürth einen braucht, ist ja angesichts der Entwicklung eher fraglich.

 

Was wird fehlen, jetzt, wo es nur noch kioski.de gibt?

Nicht vermissen werde ich zum Beispiel Leute, die am Ende reingekommen sind und gejammert haben, dass ich zumache. Ich habe denen nie gesagt: Wo wart ihr denn die ganze Zeit vorher? Aber gedacht. Vermissen werde ich Leute, die mit mir über Finnland oder über die Musik geredet haben. Oder die Momente, wenn ich mich einfach vor den Laden in die Sonne gesetzt habe.

 

Wo werden sie sitzen, wenn die Ausgangsbeschränkung aufgehoben ist?

Sobald das geht, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich das vor dem Boca oder in der Badstraße 8 tue.

Wer den Musiker Martti Trillitzsch und seine Projekte in dieser Zeit unterstützen möchte, kann das mit dem Kauf eines Tonträgers oder Downloads auf https://maekkelae.bandcamp.com tun, kann ihm unter https://www.facebook.com/maekkelaes.trash.lounge folgen und anstehende Live-Online-Auftritte via PayPal honorieren: paypal.me/maekkelae

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