Unterm Hammer

12.8.2014, 18:10 Uhr
Unterm Hammer

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Neulich fragte mich eine Bekannte besorgt, ob ich krank sei, ich mache einen etwas mitgenommenen Eindruck. Oha, man sieht es also! Die letzten Wochen sind offenbar nicht spurlos an mir vorübergegangen. Ja, ich bin krank, wenn auch nicht im herkömmlichen Sinne. Ich habe Baustelle, schlimmer noch: Ich habe Generalsanierung.

Während die gewöhnliche Baustelle einer lästigen, aber meist harmlosen Sommergrippe gleicht, entspricht die Generalsanierung einer heimtückischen und langwierigen Tropenkrankheit, mit Fieberschüben, Halluzinationen und temporären Delirien. Ich phantasiere mittlerweile, obwohl aus dem hohen Norden stammend, ganztägig auf fränkisch, und kreise dabei immer wieder um das magische „Hau mers wech!“

Mein Tag beginnt seit Wochen um kurz vor sieben mit dem immer gleichen Ritual: Ein Baukran tutet, und alsdann turnen hurtige Füße über meinen Kopf – das Stimmen der Instrumente quasi. Als nächstes wird die Mornigshow eines Privatradiosenders in brüllender Lautstärke eingeschaltet wie die Ouvertüre zur Monsteroper des Maschinenparks, die folgt.

Alsdann kreischen Pressluftmeißel, Kreissäge und Flex ihre Themen in die morgendliche Luft, Holz- und Metallhämmer schlagen lustig im Takt dazu, untermalt von den munteren Rufen der Bauarbeiter. Ein Gewerk grüßt das andere, der Zimmerer den Spengler, der Spengler den Stuckateur, der Stuckateur den Schlosser, der Schlosser den Zimmermann – nur die Gerüstbauer, die immer mal wieder was ummontieren müssen, grüßt niemand, weil keiner weiß, in welcher Sprache und weil sie mit ihrer Umräumerei das emsige Treiben auf der Baustellenbühne jedes Mal stören wie verpeilte Komparsen.

Gegen viertel nach acht (ich bin bereits geduscht und habe den ersten Liter Tee intus) passiert es mit berückender Zuverlässigkeit. Noch einmal finden sich alle Instrumente in einem kurzen Tutti, noch einmal grüßt die Tröte des Krans den Sommerhimmel, dann: die Spannungspause! Vor welchem Fenster wird es heute geschehen? Füße schaben auf metallenem Untergrund, Worte wollen gesprochen werden. Wer wird beginnen? Der Zimmermann, der Spengler? Man nähert sich an im Rezitativ, piano, piano:
Kummamal her, dou! Hast däi Sparren gseng? Hm. Schaun fei nämmer gut aus. Na, fei wärgli net!
Oder auch:
Rundgaube, wassd scho, Altbau. Allmächd! So a G’lumb!

Das ganze Ensemble versammelt sich, sogar die Gerüstbauer dürfen mitmachen. Ich jubiliere vor Vergnügen: Heute sind sie alle wieder vor meinem Bürofenster. Ich sitze mitten im Geschehen, werde quasi Teil der Oper, die nun unweigerlich ihrem Höhepunkt entgegenfiebert. Der kommt jeden Tag ebenso zwingend wie fulminant überraschend, vergleichbar mit Galileis „und sie bewegt sich doch!“ oder Cockers Schrei in „With a little Help from My Friends“. Die Stille bäumt sich, Fäuste packen Hämmer, Meißel, Brechstangen, kurz sieht man das Weiße im Auge des Zimmermanns blitzen, dann endlich der erlösende Schrei:
Wassd wos? Hau mers wech!
Ja, ja! rufe ich wie im Wahn, hau mers wech, hau mers wech!
Selten hatten Bauarbeiter einen größeren Fan, kaum jemanden, der ihr Credo besser verstand, niemals eine gewissenhaftere Adeptin.

Vom Gerüst herunter berichtet ein Nachrichtensprecher über Bernie Ecclestones neuesten Millionendeal vor Gericht, russische Separatisten in der Ostukraine, fragwürdige Geschäfte bayerischer Politiker, und ich denk’ nur: Hau mers wech! Jedes Trumm, das in einen Umzugskarton wandern will (ja, ich gehe, aber ich trage die Baustelle im Herzen), wird vorher der Prüfung unterzogen: Omas Milchkännchen, die Badeentensammlung, das Tellerset vom Gardasee? Hau mers wech! Das Telefon klingelt, wahrscheinlich die Redaktion mit einem Auftrag. Hau mers wech!
Die Nachbarn hämmern an die Tür (die Klingel hab ich schon vor Tagen weggehauen): Der Baulärm sei schlimm genug, ob ich das Brüllen vielleicht einstellen könne? Brüllen einstellen? Nachbarn? Hau mers wech! Hau mers wech!
Es gibt kein Problem mehr, dass durch diese drei kleinen fränkischen Silben, diesen aufs Wesentliche eingedampften Appell, nicht aus der Welt geschafft werden könnte. Mehr noch: Hau mers wech! ist für mich zum ureigenen Sinn des Lebens geworden. Wie gesagt, ich habe Baustelle, besser noch: Ich habe Generalsanierung!


 

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