Seit 20 Jahren: Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung

16.11.2020, 18:17 Uhr
Seit 20 Jahren: Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung

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Diese Gesetzesänderung wurde von der staatlichen Informationskampagne "Mehr Respekt vor Kindern" begleitet. Sie sollte besonders bei den Eltern, aber auch in der breiten Bevölkerung ein Bewusstsein dafür schaffen, wie wichtig es ist, Kindern eine gewaltfreie Kindheit zu ermöglichen.

Die Eltern- und Jugendberatung des Diakonischen Werks berät und begleitet seit dem Jahr 1979 Familien im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen und hat das Jubiläum genutzt, um einen Blick zurückzuwerfen auf die rechtlichen und gesellschaftlichen Normen, die bis zur gesetzlichen Verankerung der gewaltfreien Erziehung vor 20 Jahren Gültigkeit hatten.

Mit Gewalt in der Erziehung ist nicht nur die körperliche Züchtigung gemeint, sondern der Begriff schließt auch psychische Gewalt in Form von Bedrohungen, Demütigungen und Liebesentzug bis hin zu Miterleben von elterlicher Paar- und Trennungsgewalt mit ein. Die Auswirkungen auf die Psyche der Kinder sind vielfältig und reichen von geringem Selbstbewusstsein über die Entwicklung eigener aggressiver Verhaltensmuster bis hin zu posttraumatischen Belastungsstörungen, schreibt die Beratungsstelle.

"Züchtigungsrecht" bestand als Gewohnheitsrecht weiter

Der Paragraph 1631 Abs. 2 im Bürgerlichen Gesetzbuch der Bundesrepublik gewährte dem Vater ein "Züchtigungsrecht" seinen Kindern gegenüber. 1957 wurde dieser Paragraph im Zuge der Einführung des Gleichberechtigungsgesetzes abgeschafft, sodass es kein ausdrückliches Recht auf Züchtigung mehr gab. Tatsächlich bestand es aber als Gewohnheitsrecht weiter.

In den 1960er-Jahren stellte die damalige Protestbewegung ("68er", Love and Peace, "Antiautoritäre Erziehung", "Summerhill") die Körperstrafe massiv infrage. 1976 veröffentlichte die Sängerin Bettina Wegner, damals noch in der DDR lebend, das Lied "Kinder" ("Sind so kleine Hände"). Die Sängerin Joan Baez griff es auf und sang es ebenfalls, wodurch es in den USA bekannt wurde.


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Astrid Lindgren erzählte 1978 bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels die beeindruckende Geschichte "Niemals Gewalt". 1979 war Schweden weltweit das erste Land, das das Recht auf eine gewaltfreie Kindheit im Gesetz verankerte. Erst 20 Jahre später, als 1998 die UN-Kinderrechtskonvention in der Schweiz stattfand, unterzeichneten fast alle Mitgliedsstaaten eine Erklärung zur Wahrung von Kinderrechten, zu denen auch das Recht auf gewaltfreie Erziehung gezählt wurde.

Zwei Jahre später war es dann auch in Deutschland soweit: Kinder werden seitdem durch einen klaren Gesetzestext geschützt, das "Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung". Gleichzeitig wurden Broschüren und Plakate in Umlauf gebracht, die auf die Problematik hinwiesen und Rat und Unterstützungsmöglichkeiten für Eltern aufzeigten.

Eltern suchten nach neuen Möglichkeiten

Viele Eltern, die als Kind selbst noch geschlagen worden waren, suchten ohne dafür selbst ein Vorbild gehabt zu haben nach Möglichkeiten, ihre Kinder gewaltfrei zu erziehen. Ratgeberliteratur zum Thema "Grenzen setzen in der Erziehung" in allen Variationen überschwemmte den Markt. Erziehungsberatungsstellen bereiteten sich auf eine größere Nachfrage vor, Erziehungskurse erfreuten sich großer Beliebtheit, schreibt das Diakonische Werk.

Im Report über die Auswirkungen des Gesetzes zu Ächtung der Gewalt in der Erziehung, in dem die Studien von 2001/2002 und 2005 miteinander verglichen werden, ist zusammengefasst zu lesen: "Eine Erziehung ohne Gewalt hat in allen sozialen Gruppen den Rang eines hohen sozialen Wertes erhalten." Nachdem man also davon ausgehen konnte, dass die gesetzlichen Vorgaben in der Bevölkerung bekannt sein dürften, ließ der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte im Jahr 2016 eine weitere Untersuchung im Rahmen einer Befragung durchführen.


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Auch hier konnte die Entwicklung bestätigt werden, dass immer noch weniger Eltern körperliche Strafen angewandt haben. Auch Strafen wie Niederbrüllen, Ausgehverbot und Taschengeldkürzung wurden deutlich seltener genannt.

In der gewaltfreien Erziehung, die zweifelsohne für Eltern immer wieder eine Herausforderung ist, geht es um Gleichwürdigkeit, nicht um Gleichberechtigung von Eltern und Kindern, schreibt die Eltern- und Jugendberatung des Diakonischen Werks. Das ergebe sich schon daraus, dass Eltern für ihre Kinder eine ebenfalls gesetzlich verankerte Verantwortung tragen, minderjährige Kinder aber für ihre Eltern nicht. So ist Erziehung stets ein Balanceakt zwischen Förderung der Selbstbestimmung und liebevollem Grenzen setzen, auch im Sinne von Orientierung geben, schützen und begleiten.

Beratung beim Diakonischen Werk

Die Eltern- und Jugendberatung des Diakonischen Werkes Weißenburg-Gunzenhausen bietet in allen Fragen des Erziehungsalltags, auch telefonisch, beratende Gespräche an. Sie erreichen die Beratungsstelle unter der Telefonnummer 09141/8600360. Die Gespräche bleiben streng vertraulich, Ratsuchenden entstehen keine Kosten.

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