Homeschooling in der Kritik: So reagiert Kultusminister Piazolo im Interview
12.1.2021, 13:25 UhrKitas und Bildungseinrichtungen bleiben geschlossen, Unterricht ist nur auf Distanz möglich. Der Ärger lädt sich bei Kultusminister Michael Piazolo ab. Im Wochenrhythmus fordert die Opposition deshalb die Auswechslung des Politikers der Freien Wähler.
Herr Piazolo, Sie sind noch im Amt. Denken Sie über einen Rücktritt nach oder haben Sie ihn in Erwägung gezogen?
Die Opposition fordert das im Zusammenhang mit der Lernplattform Mebis. Das klingt einfach und plakativ. Ich empfehle einen Blick auf andere Bundesländer: Die meisten kämpfen mit ähnlichen Problemen. Da müsste dann bald ein Dutzend Kultusminister zurücktreten. Das sollte als Einordnung reichen.
Das heißt, Sie denken weder daran noch haben Sie es erwogen?
Ich konzentriere mich auf meine Arbeit. Wir haben in den vergangenen Wochen intensiv am Thema Mebis und daran gearbeitet, wie wir den Distanzunterricht gestalten können. Das hat für mich Priorität Eins.
Kommentar zum Homeschooling: Error statt Unterricht
Die Kritik kommt von allen Seiten, auch von den Lehrer- und Elternverbänden. Alle beklagen, dass nichts funktioniert.
Wir hatten vor Weihnachten sechs Gesprächsrunden mit den Schulfamilien der einzelnen Schularten. Die Themen waren reichhaltig. Es war nicht so, dass Mebis im Vordergrund stand. Es ging darum, wie wir mit den Abschlussprüfungen umgehen, wie mit den Leistungskontrollen und dergleichen. Schule bewegt sehr viele Menschen sehr unterschiedlich. Die Leute wünschen sich Planungssicherheit, die wir in dieser Zeit leider nicht bieten können.
Dreifach-Strategie soll helfen
Sie fordern die Schulen auf, sie sollten sich gestaffelt bei Mebis anmelden, weil die Plattform sonst zusammenbricht. Ist das keine Bankrotterklärung?
Wenn ich mir die vergangenen 150 Schultage ansehe, hat es vielleicht an zehn gehakt, an den anderen nicht. Mich hat das geärgert, dass das besonders vor Weihnachten der Fall gewesen ist. Wir fahren deshalb eine Dreifach-Strategie: Wir ertüchtigen Mebis weiter, staffeln den Einsatz und erweitern die ganze Bandbreite an digitalen Tools. Mebis nutzen täglich etwa 15 Prozent der Schüler. 85 Prozent tun es nicht, weil ihre Lehrkräfte andere Tools nutzen. Wir entzerren jetzt mit festen Startzeiten den Druck auf das System.
Und das reicht?
Viele Schüler gehen auf Verdacht in das System und schauen, ob sich etwas tut. Das sollen sie aber sinnvollerweise erst tun, wenn die Lehrkräfte sie dazu auffordern. Mebis ist eine unterrichtsbegleitende Lern- und keine Videoplattform. Wir haben für den Distanzunterricht andere leistungsfähige Tools wie das Chatprogramm MS-Teams. Mebis ist anders angelegt, für asynchrone Kommunikation.
Also alles nur ein Missverständnis?
Jein. Aber es muss klar sein, dass Mebis nur ein Tool unter vielen ist, wenn auch ein wichtiges.
Sie haben die Leistungskontrollen erwähnt, ein Thema, das die Eltern massiv beschäftigt, weil sie befürchten, dass der Druck enorm wird an den Schulen.
Wir versuchen natürlich, diesen Druck zu minimieren. Andererseits wollen Eltern und Schüler auch die Chance auf Leistung haben, insbesondere wenn die bisherigen Noten nicht so gut waren. Wo es geht, soll reduziert werden. Wir werden auch beim Übertritt von der Grund- auf die weiterführende Schule reagieren. Im vergangenen Jahr haben wir dort die Prüfungen von 22 auf 18 reduziert. Jetzt gehen wir auf 14. Wir tun, was möglich ist.
Das zweite große Feld sind die Abschlussprüfungen. Werden alle verschoben?
Beim Abitur haben wir das bereits verkündet, die Prüfungen beginnen neun Tage später. Wir werden das für alle anderen Schularten nachziehen. Das gilt natürlich auch für das Wiederholen. Das wird weiter nicht auf die gesamte Ausbildungszeit angerechnet. Das beobachten wir besonders, weil es hier auch um Chancengerechtigkeit geht.
Wie wollen Sie die garantieren?
Indem wir den Blick auch auf andere Themen richten, nicht nur auf Mebis, das vor allem für Gymnasien und Realschulen relevant ist. Ich denke intensiv darüber nach, wie wir mit Mittel-, Grund- und Förderschülern umgehen. Dort müssen wir darauf achten, dass wir niemanden verlieren. Die Lehrkräfte müssen den Kontakt zu den Schülern halten, durchaus auch per Mail oder Telefon. Wenn wir später wieder in die Präsenzphase kommen, müssen wir Brückenkurse anbieten, die die mögliche Wissensschere schließt und die Schüler auf den gleichen Stand bringen.
Sie bauen dabei aber vor allem auf das Engagement der Lehrkräfte.
Für die Lehrkräfte sind das in der Tat große Herausforderungen. Ich weiß aber, dass durch die Lehrkräfte und die Eltern hier Großartiges geleistet wird.
Schüler werden abgehängt
Müsste der Staat nicht zusätzliche Möglichkeiten schaffen für Schüler, die abgehängt werden? Etwa über ein staatlich subventioniertes Nachhilfeangebot?
Unser Ansatz ist jetzt nicht, dass wir den Eltern Geld geben, damit sie sich Nachhilfeunterricht einkaufen können. Bildung ist in erster Linie eine staatliche Aufgabe und damit unserer Lehrkräfte.
Es gibt Eltern, die ihre Kinder besser unterstützen können und Eltern, denen das nicht möglich ist. Sie müsste der Staat stärker fördern. Da helfen Brückenkurse später nur begrenzt.
Das ist richtig. Diejenigen, die sich über Mebis beschweren, sind ins System integriert; sie sind in der Regel bildungsnäher und die lauteren. Meine Aufgabe ist es, auch auf die zu blicken, die sich nicht melden und die sich leise aus dem System verabschieden. Wenn wir eine Mittelschulklasse mit 16 Nationen haben, müssen wir sie erreichen und im System halten. Das geht mit einfachen Mitteln, auch per Telefon und auch mal mit ausgedruckten Arbeitsblättern.
Auch das ist nur Sache der Lehrkräfte.
Nicht nur. Es erfordert natürlich auch das Engagement der Schüler und ihrer Eltern. Wir passen das System an mit Tools für den Unterricht und mit Rahmenvorgaben für den Unterricht mit klaren Vorgaben, wie der Kontakt hergestellt werden soll, wie oft und wann.
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Gerade für die Mittelschulen finden Sie doch schon jetzt nicht ausreichend Lehrkräfte. Der Mangel wird sich eher verschärfen. In die Zukunft geblickt: Welche Lehre ziehen Sie aus Corona?
Wir haben tatsächlich bei Gymnasium und Realschule einen Überhang bei den Studierenden. Bei Grund-, Mittel- und Förderschulen ist das Gegenteil der Fall. Ich werbe seit langem für eine höhere Besoldung dieser Gruppe. Aber das ist nur ein Baustein unter vielen. Wir müssen für den Beruf werben, ihn multiprofessionell aufstellen und die Freiheiten ausweiten. Wer studiert, kommt vom Gymnasium, der hat die Mittelschule nicht im Blick. Hier müssen wir ansetzen.
Glauben Sie angesichts der Schulden, die wir gerade aufhäufen, dass die Bildungspolitik den ihr angemessenen Stellenwert behalten und etwa die Zahl der Lehrkräfte weiter steigen wird?
In unserem Land findet seit einigen Jahren ein Umdenken statt. Der Finanzminister gibt mehr Geld, der Ministerpräsident ist dem Thema gegenüber aufgeschlossen. Da bewegt sich einiges.
Defizite im Bildungssystem fallen auf
Ist das ein positives Ergebnis der Pandemie, dass sie wie ein Brennglas die Defizite im Bildungssystem aufdeckt?
Jede Krise hat ihre Chancen. Wir sehen, wo das eine oder andere fehlt, vielleicht noch schärfer als bisher. Nehmen wir die Digitalisierung. Hier wurde schon vor Corona investiert. Jetzt haben sich die Mittel verzehnfacht. Das Defizit ist erkannt. Das gilt für viele Bereiche. Da haben wir viel in den vergangenen zehn Monaten erreicht. Das war aber auch notwendig.
Zurück in die triste Gegenwart: Sie sagen selbst, dass der Distanzunterricht zunächst drei Wochen laufen soll. Erwarten Sie, dass er länger dauern wird?
Ich hoffe sehr, dass wir bald wieder in den Präsenzunterricht kommen. Ihn kann nichts ersetzen. Aber wir wissen einfach nicht, was kommt, wie sich die Zahlen entwickeln, was mit einem mutierten Virus passiert. Wir müssen uns auf alles einstellen, auch darauf, dass wir zunächst wieder nur gestaffelt mit Präsenzunterricht beginnen müssen. In Coronazeiten können wir zwar drei, vier Wochen vorausdenken. Aber garantieren können wir nichts.
Was die Menschen über alle Schularten hinweg beschäftigt, ist das Aus für die Faschingsferien. Wessen Idee war das?
Wir haben das im Ministerrat gemeinsam beschlossen. Vorgeschlagen hat es der Ministerpräsident. Es war keine leichte Entscheidung. Aber wenn wir bis Anfang Februar im Distanzunterricht sind und dann, kaum dass die Präsenz begonnen hat, wieder in die Ferien gingen, das verstünden viele nicht mehr. Weil jetzt viel Präsenzunterricht verloren geht, wollen wir später Zeit dafür zurückgewinnen.
Warum hat man die Woche nicht an die Weihnachtsferien angehängt und damit den Distanzunterricht verkürzt?
Diskutiert haben wir das. Aber die Schulen sind jetzt seit drei Wochen zu. Und gerade bei den Kleineren, die gerade erst mit dem Lernen angefangen haben, ist das eine lange Phase ohne Unterricht.
Ein wiederkehrender Vorwurf ist, dass Sie nie vorbereitet sind auf das, was auf die Schulen zukommt.
Natürlich entwerfen und verwerfen wir täglich Szenarien. Das haben wir auch im Sommer getan. Doch dann sind die Infektionen für alle überraschend früh und schnell gestiegen. Die Lage verändert sich ständig. Das ist Corona. Das Virus nimmt keine Rücksicht. Wir müssen permanent und kurzfristig nachsteuern. Corona treibt die Politik. Nicht umgekehrt.
Glauben Sie, dass Sie im Sommer sagen können, es hat geklappt, wir haben niemanden verloren?
Das ist unser Ziel. Wir werden auch das nächste Schuljahr brauchen, damit wir bei dem einen oder anderen aufgebaute Defizit abbauen können. Ich bin zuversichtlich.