Königstreue in Bayern: Liebe zu Ludwig II. ist ungebrochen
21.10.2019, 05:53 UhrAlle Jahre wieder, immer am ersten Sonntag nach Pfingsten, wird die kleine Gemeinde Berg am Starnberger See zum Wallfahrtsort. Hunderte von Menschen, die meisten im fortgeschrittenen Alter, viele von ihnen in Tracht oder in historischen Uniformen, drängeln sich in und vor der Votivkapelle, in der ein Gedenkgottesdienst für König Ludwig II. stattfindet. Mittendrin im Getümmel ist stets Siegfried Mathes, der immer einen Blumenkranz für das Gedenkkreuz im See dabei hat.
Seit mittlerweile über 30 Jahren ist diese Veranstaltung ein Pflichttermin für den Oberpfälzer, der dabei auch stets ein beliebtes Fotomotiv ist. Weist der 67-Jährige doch eine große Ähnlichkeit mit dem vor über 130 Jahren unter rätselhaften Umständen verstorbenen Märchenkönig auf. Er putze sich aber gewiss nicht als Ludwig heraus, betont Mathes. "Ich seh’ halt so aus, wenn ich in der Früh aufstehe. Meine Haare wachsen so."
Neben der gelockten Mähne verbindet ihn auch eine gewisse Seelenverwandschaft mit dem einstigen bayerischen Regenten. "Bua, warum redest du denn gar nicht?", fragte bisweilen eine Tante den stillen sensiblen Jungen, wenn der sich bei Familientreffen am liebsten in eine ruhige Ecke zurückzog.
"Ich war nie ein Massenmensch, sondern immer gerne für mich", erzählt Mathes. Fußball etwa habe ihn nie interessiert, lieber habe er bei einsamen Waldspaziergängen die Natur beobachtet oder sich mit Kunst und Architektur beschäftigt. Deshalb begann er auch irgendwann damit, sich eingehend mit dem empfindsamen König zu befassen, der sich meist auf seine Schlösser zurückzog, bei Privatvorstellungen in menschenleeren Theatern Wagner-Opern lauschte und bis in den frühen Morgen las oder Briefe schrieb.
Mit König wäre es irgendwie schöner
Auch auf viele andere Menschen im Freistaat übt Ludwig II. nach wie vor eine große Faszination aus. Und obwohl das Königreich Bayern seit über 100 Jahren Geschichte ist, haben einige von ihnen eine unbestimmte Sehnsucht nach dem Glanz der Krone. "Wir brauchen keinen König, aber schöner wäre es schon", sagte einst der Autor, Dramatiker und bayerische Patriot Georg Lohmeier, dem die deutschen Fernsehzuschauer unter anderem das "Königlich Bayerische Amtsgericht" zu verdanken haben.
Ein geflügelter Spruch unter den Königstreuen, die sich in einer ganzen Reihe von Vereinen zusammengefunden haben. Und das nicht nur in Bayern: "In Baden-Württemberg und in Berlin gibt es zum Beispiel sehr aktive Gemeinschaften, die die Erinnerung an Ludwig II. lebendig halten", berichtet Alfons Endres, der im bayerischen Landesverband der Königstreuen als Beisitzer für Franken fungiert.
Und mancher Fan des Kini könnte sich tatsächlich vorstellen, dass auch heute noch ein Monarch den Freistaat repräsentiert. Im Hause Wittelsbach gäbe es durchaus honorige Persönlichkeiten, weiß Stefan Jetz, der Landesvorsitzende der Königstreuen. Auf etwa 3000 Personen schätzt er den harten Kern der Ludwig-Verehrer. Rund 40 eingetragene Vereine haben sich dem Dachverband angeschlossen, daneben gibt es eine ganze Reihe von losen Zusammenschlüssen, etwa Gruppen in Trachten- oder historischen Vereinen, deren Herz für den Märchenkönig schlägt.
"Es geht auch um unsere Traditionen"
"Die Ziele und die Strukturen der einzelnen Vereine sind sehr unterschiedlich", sagt Jetz. Manchen Aktiven sei die Geselligkeit wichtig, etwa beim alljährlichen Gedenkzug der Königstreuen im oberbayerischen Gammelsdorf, andere befassen sich intensiv mit Bayerns Geschichte.
"Uns geht es nicht nur um König Ludwig, sondern auch um das Wachhalten unserer Traditionen", erklärt der 72-Jährige, der auch Vorsitzender des König-Ludwig-Vereins Altötting ist. Die Entwurzelung in der globalisierten Welt tue den Menschen nicht gut, ist Jetz überzeugt. "Jeder braucht eine Heimat, auch wenn niemand so ganz genau sagen kann, was Heimat eigentlich wirklich ist."
Außerdem müsse man den Leuten bewusst machen, dass Bayern schon lange vor dem Ende der Monarchie in vielen Dingen Pionier gewesen sei, fordert der Landeschef der Königstreuen. "Wir waren zum Beispiel das erste Land der Welt, das komplett vermessen wurde", sagt Jetz. Und viele dieser Errungenschaften habe der "Popstar der Wittelsbacher" maßgeblich vorangetrieben.
Viele Königstreue ärgert es denn auch, dass ihr Idol in der Öffentlichkeit vor allem als weltfremder und verschwendungssüchtiger Spinner angesehen wird, der Unsummen für seine Prachtbauten verschleudert habe. Sie dagegen sehen neben dem Schöpfer von einzigartigen Wahrzeichen wie den Schlössern Neuschwanstein, Herrenchiemsee und Linderhof den "Friedenskönig" Ludwig, der unter anderem versucht habe, sein Land aus dem Krieg zwischen Preußen und Österreich herauszuhalten.
"Er war ein Visionär"
Darüber hinaus machte sich der technikbegeisterte Regent für Forschung und Lehre stark, gründete etwa die Technische Universität München und zahlreiche wissenschaftliche Institute. Außerdem legte er mit seinem Interesse an neuen Technologien unter anderem den Grundstein dafür, dass Bayern in den Kindertagen der Stromproduktion und -versorgung erheblich weiter war als viele andere Nationen damals.
"Er war ein Visionär. Ohne Ludwig II. wären wir ein Bundesland wie jedes andere auch", schwärmt Siegfried Mathes, der sich im Ruhestand ein eigenes kleines Neuschwanstein geschaffen hat. Vor 15 Jahren kauften der ehemalige Antiquitätenhändler und seine Frau ein ehemaliges Zollhaus bei Waldmünchen (Landkreis Cham), das sie in unzähligen Arbeitsstunden in ihre ganz persönliche Zeitkapsel verwandelt haben. Die Mischung aus Museum, Galerie und persönlichem Königstraum ist vollgestopft mit Erinnerungsstücken an den Kini, an Richard Wagner und an jene Epoche, in der "halt noch vieles in Ordnung war", wie es im unvergessenen Vorspann zum "Königlich Bayerischen Amtsgericht" heißt.
In Mittelfranken wiederum scheint die Königsliebe nicht ganz so ausgeprägt zu sein. Bisher waren hier ausschließlich die König-Ludwig-Freunde Rangau unter dem Dach des Landesverbandes aktiv, doch Anfang Oktober wurde der Verein aufgelöst. "Zum Schluss waren wir nur noch 20 Mitglieder. Junge kommen nicht mehr nach", bedauert Hans-Jürgen Grosser, der einstige Geschäftsführer der Rangauer Königstreuen.
"Ein ewig Rätsel will ich bleiben"
Nachwuchssorgen kennt auch Stefan Jetz. "Wir sind halt kein Disco-Verein, und mit Anfang oder Mitte 20 habe ich mich auch noch nicht groß für die bayerische Geschichte interessiert", sagt der 72-jährige. Er ist aber zuversichtlich, dass – ähnlich wie bei ihm – bei vielen Menschen die Liebe zur Heimat und zur eigenen Historie erwacht, wenn sie im fortgeschrittenen Alter sind.
Und da eigne sich Ludwig II. mit seinem mit vielen Konventionen brechenden Leben hervorragend als Projektionsfläche. "Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir und anderen", schrieb der König einst in einem Brief – und viele dieser Rätsel, etwa die tatsächlichen Umstände seines Todes, sollten nach Ansicht von Jetz auch ungelöst bleiben. "Auch die machen ja die Faszination aus."
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