Verkehrswende in der Region
Mehr Platz für Radler und Fußgänger: Nürnberg, Fürth, Erlangen und Schwabach bauen um
15.8.2021, 05:23 UhrDas Klima schützen und gleichzeitig die Lebensqualität von Millionen Menschen deutlich verbessern? Geht das überhaupt? "Wir haben eigentlich genügend Geld für eine Mobilitäts- und Verkehrswende", sagt Richard Mergner, Landesvorsitzender des Bund Naturschutz. Es müsse nur anders verteilt werden. Dann erreiche man auch das Ziel, allen Menschen im Freistaat einen barrierefreien Zugang zu öffentlichen Transportmitteln, zu Geh- und Radwegen anzubieten.
Breites gesellschaftliches Bündnis
Der BN führt das bayerische Bündnis "Sozialverträgliche Mobilitätswende" an, in dem sich mit ihm der Verkehrsclub Deutschland, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die IG Metall, ver.di, der Sozialverband Deutschland, der VdK, die Arbeiterwohlfahrt und die evangelische Kirche zusammengeschlossen haben.
Man verlangt von der Staatregierung unter Ministerpräsident Markus Söder, rasch zu handeln. Denn sie habe die Verkehrswende in den vergangenen vier Jahren "leider komplett verschlafen", wie Mergner sagt.
Kommentar: Die Kommunalpolitiker brauchen für die Verkehrswende Mut
In der Metropolregion Nürnberg hat man das Gebot der Stunde längst erkannt: Die Kommunen erarbeiten gerade Konzepte, die den motorisierten Individualverkehr ein Stück zurückdrängen werden. Dafür entsteht neue Luft zum Atmen, Fußgänger und Radler erhalten mehr Freiheiten. Gelingt der Transformationsprozess, wird der urbane Raum nicht wieder zu erkennen sein.
Der Nürnberger Stadtrat hat vor einem halben Jahr einen "Masterplan nachhaltige Mobilität" verabschiedet, der als Leitbild der Halbmillionenstadt mindestens für das nächste Jahrzehnt gilt. Darin heißt es: "Nur wenn urbane Mobilitätsbedürfnisse verstärkt mit den stadt- und umweltgerechten Verkehrsarten zu Fuß gehen, Rad fahren und dem öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) bewältigt werden, kann die Stadt lebenswert erhalten bleiben."
Wie machen das die Städte? Hier ein Überblick: wollen also Nürnberg, Fürth, Erlangen und Schwabach ihre Flächen lebenswert halten? Eine Zusammenschau.
In der Stadt Schwabach basteln die politisch Verantwortlichen um Oberbürgermeister Peter Reiß (SPD) seit Monaten an einem schlüssigen Konzept, das die Goldschlägerstadt attraktiver machen und gleichzeitig ökologisch wie sozialverträgliche Fortbewegungsangebote beinhalten soll.
"Wir wollen natürlich keine Straßen kappen", sagt Stadtbaurat Ricus Kerckhoff. Was aber dann? Mit einer breiten Bürgerbeteiligung, die wegen der Pandemie mit Live-Übertragungen von Informationsveranstaltungen, Internet-Chats und elektronischen Umfragen vonstatten ging, hat man Wünsche, Bedürfnisse und Ideen gesammelt. Genug Input also für die Beratungen der Stadträte nach der Sommerpause.
Radwege stehen im Vordergrund, "wir haben kein gutes Netz", sagt Kerkus. Viele Ortsteile in den ländlichen Regionen müssen überhaupt erst mit öffentlichen Verkehrsmitteln erschlossen werden und ein Leih-Lastenrad-System soll aufgebaut werden. Die Stadt bezuschusst den Kauf dieser immer populärer werdenden Zweiräder.
Anfang 2022 sollen die Pläne Gestalt annehmen, mit Workshops will man auch die jüngere Bevölkerungsschicht anziehen. Stadtbaurat Ricus Kerkoff wird dann einen Teil der Verantwortung an seine neue Kollegin Christine Meyer abgeben. Sie wechselt zum Januar von der Nürnberger Stadtverwaltung ins Schwabacher Rathaus und leitet dann das nagelneue Referat für Umwelt, Klimaschutz, Mobilität und Nachhaltigkeit. Mit dieser Kombination an Zuständigkeiten sind die Schwabacher Vorreiter in der Region.
Auf zu neuen Ufern: Die Stadt Erlangen um Oberbürgermeister Florian Janik (SPD) hat sich im November 2020 ein Klimaaufbruch-Programm verordnet und erst einmal das Großreinemachen im eigenen Haus gestartet.
Seitdem wird der Fuhrpark auf umweltfreundliche Antriebsarten umgerüstet, berichtet Bürgermeister Jörg Volleth (CSU), eigene Gebäude werden energetisch saniert und wo immer möglich ihre Fassaden begrünt. Die Anlagen der Erlanger Wohnungsbaugesellschaft Gewobau, in der rund 30.000 Menschen leben, werden mit Photovoltaik ausgerüstet und man erprobt im Feldversuch die Herstellung von Wärme über Wasserstoff.
Natürlich ist auch die Hugenottenstadt noch Jahre davon entfernt, klimaneutral zu werden. Doch sie wandelt sich, wird grüner, 150 Bäume werden neu gepflanzt und "Schwamm-Effekte mitgedacht", sagt Bürgermeister Volleth, was bedeutet, dass man Grünpflanzen ansiedelt, wo immer es geht, um in ihnen Wasser zu speichern.
Der Zollhausplatz nahe der Gebbertstraße mutiert zum "Klimaplatz", der künftig auch an extrem heißen Tagen dank seiner kühlenden Elemente eine "Topaufenthaltsqualität" bieten soll, wie es im Rathaus heißt. Und Erlangen unterhält die erste kostenlose Citylinie: Busse mit elektrischem Antrieb bringen Fahrgäste vom Großparkplatz am Bahnhof zu den Kliniken und die Universität.
Erlangen ist die Fahrradstadt Nummero eins in der Region, dennoch will man das Zweiradfahren noch attraktiver machen. Vor allem beim "grenzüberschreitenden Verkehr", wie es Volleth nennt. Radschnellwege ins Umland sollen ausgebaut werden, etwa nach Nürnberg entlang des Rhein-Main-Donau-Kanals.
Ein "großer Wurf" aber würde gelingen, wenn die Weltkonzerne wie Siemens oder Schaeffler ihre New-Work-Konzepte umsetzen und dauerhaft mehr Homeoffice anbieten, sagt der Bürgermeister. Dann würde der Hugenottenstadt, in die täglich rund 60.000 Menschen einpendeln, dauerhaft ein Fünftel an Abgasen und Lärm erspart bleiben.
Auch in der Nachbarstadt Fürth setzt man (sich) aufs Fahrrad, eigentlich schon seit Thomas Jung (SPD) vor 19 Jahren zum Oberbürgermeister gewählt wurde und ab da täglich ins Rathaus radelte. Doch jetzt will man alle Anstrengungen verstärken und "fahrradfreundliche Kommune" werden, in dem man den Anteil der Zweiradfahrer bis zum Jahr 2035 auf 20 Prozent verdoppelt.
Dazu braucht es auch mehr Radwege, doch "das wird nicht gehen, ohne dass man anderen was wegnimmt", sagt Jonas Schubert, Leiter des Stadtplanungsamtes, "denn der Platz zwischen den Gebäudekanten ist begrenzt". Autofahrer werden künftig also auch in Fürth zurückstecken müssen, doch wie und wo Fahrbahnen eingeengt werden, das erarbeite man gerade mit der Bevölkerung.
Baureferentin Christine Lippert hat bereits angekündigt, die Parkgebühren in der Innenstadt zu erhöhen, doch "es werde nicht sehr weh tun", versicherte sie. Vor kurzem hat man bereits eine innerstädtische Straße südlich der Bahnlinie zur ersten "Fahrradstraße" ausgerufen und dazu gleich die Verkehrsführung ein wenig geändert, was bei nicht allen Anwohnerinnen und Anwohner auf Begeisterung gestoßen ist: Hier sind Radler die Hauptnutzer, sie dürfen auch nebeneinander fahren, die anderen Verkehrsteilnehmer werden geduldet und müssen sich unterordnen.
Das Modell "Sommerstraße" ist dagegen erst einmal nach Protesten aus der Bevölkerung vom Tisch: Straßenzüge sollten während der Ferien für Autos gesperrt und als reine Spiel- und Begegnungsstraßen genutzt werden.
Eine tolle Projektidee, sagt Stadtplanungsamtschef Schubert, doch sie könne nur im Einklang mit der Bürgerschaft umgesetzt werden. "Zur Verkehrswende braucht man Mut", sagt er auch.
Die Stadt Nürnberg hat die Mobilitätswende bereits eingeleitet und Millionen in den Ausbau an Radwegen investiert, jetzt will sie den Klimaschutz weiter vorantreiben und nach den Worten von Oberbürgermeister Marcus König (CSU) damit auch Vorbild für die Wirtschaft sein.
Mit einem Mega-Projekt, dem Masterplan Mobilität, hat man sich den Rahmen gesteckt bis zur Mitte des Jahrhunderts. Ein Hauptziel ist es, "den Zugang zu bezahlbarer Mobilität für alle zu ermöglichen", wie es eingangs heißt.
Als derzeit "größte Baustelle" bezeichnet Robert Wunder, Vize-Chef des Verkehrsplanungsamtes, den Ausbau des Straßenbahnnetzes. Neue Fahrzeuge werden aufs Gleis gesetzt, derzeit baut man vom Hauptbahnhof bis zum Rathenauplatz neue Oberleitungen, weil die Wagen mehr Strom brauchen. Sie sind klimatisiert und mit leistungsstarken Motoren ausgestattet, auch sollen sie dann im Fünf-Minuten-Takt rollen.
Im Nahverkehrsentwicklungsplan ist festgehalten, dass eine Tram durch die Altstadt vom Hallertor bis zum Rathenauplatz ein echter Gewinn wäre, nicht nur ökologisch, sondern auch monetär: sie rechnet sich nämlich. Doch ob und wann sie gebaut wird, muss erst im Stadtrat endgültig beschlossen werden.
Weniger Autoverkehr, mehr Nahverkehrsangebote: Fest steht: Die Verkehrswende, die Nürnberg eingeleitet hat, kostet Milliarden und setzt Experten voraus: "Wir brauchen Planer! Ingenieure sind rar", stöhnt Verkehrsplaner Robert Wunder. Große Vorhaben geraten oft durch unvorhergesehene Ereignisse ins Stocken.
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