1. Mai 1968: "Verrat" an Schülern?

F. H.

1.5.2018, 13:49 Uhr
1. Mai 1968:

© Ulrich

"Der Ermittlungsauftrag", so betont der Polizeichef "ist in der Strafprozeßordnung eindeutig festgelegt. Genau so wenig ist an der Auskunftspflicht der Lehrer gegenüber der Polizei oder dem Richter zu rütteln." Energisch wehrt sich Dr. Herold gegen den Vorwurf, harmlosen Demonstranten würde nach spioniert. "Das ist eine Verleumdung, gegen die ich mich entschieden verwahre.

Nicht politisch

Mit Nachdruck stellt der Präsident fest, daß "keine Erkenntnisse politischer Art" gesammelt werden. Dr. Herold: "Wir haben genug damit zu tun, Straftaten aufzuklären. Wenn wir Bilddokumente für unsere Tätigkeit herangezogen haben, dann hat es sich nur um Täter gehandelt, die Fahnen angezündet, Transparente zerstört, Sachschäden verursacht oder sich einer Körperverletzung schuldig gemacht haben."

Freilich ist es in das Ermessen der Pädagogen gestellt, ob sie die Beamten über "Fehltritte" der Schüler informieren wollen. Wenn sich die Lehrer weigern, werden die Vorgänge dem Ermittlungsrichter übergeben, vor dem ein Aussagezwang besteht.

Auf der anderen Seite geben die Direktoren offen zu, daß sie in einen Gewissenskonflikt gestürzt werden, wenn sie ihre Schüler "verraten" sollen. Dr. Alexander Schäfer vom Neuen Gymnasium: "Wir haben die Schulordnung nicht gegen, sondern mit den Schülern und Eltern durchzuführen. Für einen eklatanten Verstoß des Gesetzes gibt es für mich kein Zögern, aber man trägt immer zwei Herzen in der Brust." Der Oberstudien-Direktor meldet grundsätzliche Zweifel an, ohne Genehmigung der Erziehungsberechtigten zu handeln. "Wir sind keine Juristen. Trotzdem werden wir täglich mit juristischen Problemen konfrontiert. Das macht uns unglücklich."

"Eine sehr schwierige Lage", findet auch Direktor Dr. Albert Nicol vom Dürer-Gymnasium. Als ihn nach den Vorfällen bei m SPD-Parteitag zwei Beamte besuchten und ihm Fotos vorlegten, wollte er keine Auskunft geben. "Ich habe mich nicht grundsätzlich geweigert", sagt er "aber ich erinnerte die Herren an das nach meiner Meinung gestörte Vertrauensverhältnis zwischen Lehrer und Schüler." Daraufhin stellten die Polizisten ihre Nachforschungen bei ihm ein.

Keine Gewalt

Als Amtshilfe empfand dagegen Studiendirektor Erhard Springer vom Martin-Behaim-Gymnasium das Ansinnen der Polizei. "Gewalttätigkeiten kann und darf man nicht unterstützen", folgert er. Die gleiche Auffassung vertrat auch Oberstudiendirektor Dr. Georg-Karl Bauer vom Willstätter-Gymnasium, der seinen Schülern vor den geplanten Protesten einen Rat mit auf den Weg gegeben hatte: "Seid vernünftig. Laßt euch nicht in eine Sackgasse treiben und haltet euch den Rücken frei."

Die freundliche Ermahnung wurde ihm nicht gedankt. Als die Polizei im Gymnasium erschien und Direktor und Lehrer die Fotos anschauten, reagierten einige Jugendliche auf ihre Art. Sie hängten einen Pferdekopf mit dem Namenszug ihres Direktors an einen Schulhofbaum. Dr. Bauer: "Ich fühle mich nicht beleidigt. Das war wohl ein mißglückter Ulk."

"Ich bin froh, daß die Polizei mich nicht aufgesucht hat", bekennt Dr. Karl Lanig vom Melanchthon-Gymnasium. "Ich kenne die verpflichtende Amtshilfe", meinte er. Nach seiner Auffassung sollte jedoch ein Vorgespräch mit den Jugendlichen begonnen werden, bevor der Lehrer "auspackt". Die gleiche Meinung vertritt auch Direktor Dr. Fritz Renner vom Hans-Sachs-Gymnasium. "Man sollte ein vertrauensvolles Verhältnis nicht leichtfertig aufs Spiel setzen", argumentiert er.

Die Polizei versteht zwar solche Bedenken, kann allerdings auf sie keine Rücksicht nehmen. "Wenn wir bei der Aufklärung von Straftaten nicht in die Schulen gehen, machen wir uns einer Begünstigung im Amt schuldig", betont Präsident Dr. Herold. Und: "Niemand kann von uns erwarten, daß wir uns für Gewalttäter ins Zuchthaus bringen lassen."

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