10. Juli 1965: Grüner Kranz um alte Mauern

10.7.2015, 07:00 Uhr
10. Juli 1965: Grüner Kranz um alte Mauern

© Gerardi

Das müßten die einstigen Freien Reichsstädter wissen, daß ihre Nachfahren jetzt um die – fast völlig wiederaufgebaute – Befestigungsanlage lustwandeln könnten! „Es grünt so grün“, hier wie in „My fair Lady“, und der Bummel entlang der roten Sandsteinmauer macht Vergnügen. Nürnberg will Bewohner und Gäste auf hübschen Pfaden an seine steingewordene Geschichte näher heranführen.

Wer Zeit hat, sollte sie sich tatsächlich nehmen, um bei gutem Wetter zu sehen, was inzwischen geschaffen worden ist. Die erste Kostprobe entbietet das Domizil zwischen Königs- und Sterntor: eine attraktive Insel mit Rasen, Sträuchern und Rabatten, sieben Meter „unterm Verkehrsgewühl“. Saubere Asphaltwege leiten zu bunt gestrichenen Bänken hin; hier lohnt es sich auch zu verweilen. Mit Muße läßt sich das Panorama betrachten, zu dem die Bastion und die Holzbrücke – eine von den vier verbliebenen – gehören. Auch im Sterntorzwinger, gleich nebenan, sind die Gärtner schon fleißig gewesen.

10. Juli 1965: Grüner Kranz um alte Mauern

© Gerardi

Von der Unteren Grassergasse tritt man ein und gewahrt in der gepflegten Anlage auch einen Kinderspielplatz sowie – dezent ins Eck gerückt – einen „Kartelbrüdertisch“ ähnlich dem, der sich im Stadtpark großer Anziehungskraft erfreut. „Gerade in der Mittagszeit wird diese Oase von zahlreichen Angestellten in der Innenstadt genützt“, sagt Gartenbaudirektor Theo Friedrich; er spricht im „Fachlatein“, wenn er dabei solche Anlagen zum „Minutenerholungsgrün“ erklärt. Aber es stimmt schon: fünf Minuten nur im Grünen sein, auch wenn man die Augen geschlossen hält, das entspannt in dieser Umgebung. Zwischen Färber- und Spittlertor wird sich die Trampelfläche noch heuer in (fast) englischen Rasen verwandeln. Nachdem nämlich der Stadtrat beschlossen hat, die Oster- und Herbstmessen der ambulanten Gewerbetreibenden endgültig auf den Gewerbemuseumsplatz zu verlegen – auch die Händler stimmten zu –, kann das schmale „Handtuch“ proper angelegt werden. Der Plan ist bereits fertig.

Bis zum Ludwigstor hin und weiter zum Fürther Tor wird noch an der Straßenverbreiterung gebastelt; da muß der Spaziergänger vorerst außen herumlaufen. Hier aber werden einmal nicht nur reizvolle Promenaden entlangführen, sondern auch Ballspielplätze entstehen, vor allem jedoch Sitzgelegenheit für jene, die müde geworden sind oder die im Sitzen besser plaudern oder Händchen halten können.

Auf dem Grabengelände bis zum Westtor sprühen schon die Regner ihre feinen Wasserstrahlen; über eine langsam sinkende Rampe geht es hinunter in dieses Idyll, und wer Lust hat, kann auch bis zur „grünen Sackgasse“ Hallertor weiterstreifen. Diese Grabenstrecke, am Altersheim Kettensteg entlang, ist im Rosenmonat besonders schön.

Vom Hallertor zur Wöhrder Wiese

Soll die Partie noch immer fortgesetzt werden, muß man auf die Straße zurück, um im Graben nach dem Hallertor vorwärtszukommen. Von hier aus fällt der Blick auf die stattliche Rundbastei, das alte „Haller Türlein“ und den Schlayerturm. Sobald der Neutorgraben durchquert ist, dem durch Bauarbeiten noch das Grün fehlt, kommt der Spaziergänger an der fünfeckigen Neutorbastei an, gerät beim Tiergärtnertor zu den „Schnepperschützen“ – also zu den hübschen Kleingartenanlagen und erreicht nahe beim Vestnertor wieder das „Tageslicht“.

Auf dem Bogen bis zum Laufer Tor wird es noch ein paar Jahre dauern, bis der Graben passierbar ist, aber dann: drei kleine Mauertürme werden auf der Laufer Tormauer – vom Rathenauplatz südwärts – wieder aufgerichtet, wie Baudirektor Harald Clauss versichert. Die Fußgängerkulisse verschönt sich dort zusehends, zumal der öffentliche Bürgersteig künftig entlang der aufgestellten Grabenmauer verläuft.

Von hier aus, ob vom Wöhrder Hübner- oder Kasemattentor ergeben sich etliche Möglichkeiten, die Wöhrder Wiese oder die Insel Schütt zu erreichen – und bis zum Königstor, dem Ausgangspunkt der „Reise zu Fuß“, etwa 6,5 Kilometer lang, ist es auch nicht mehr weit. Vor knapp mehr als 25 Jahren hat es zur Sonntagstradition der Nürnberger gehört, um den Stadtkern zu flanieren. Dabei zog man sich „gebührend“ an, Vater, Mutter, Kinder ganz im „Staat“.

Heute ist das nicht mehr im gleichen Maße üblich. Die Natur, im grünen, blühenden Kleid in das Steinmeer der Großstadt zurückverpflanzt, ist Mittelpunkt: ihr kann man auch im Freizeitgewand begegnen. 1960 wurde mit angefangen, das „Ring-Grün“ um die Altstadt anzulegen, und gute fünf Jahre mag es noch dauern, bis es ohne Unterbrechung zu genießen ist. So steht eine Entdeckungsreise nicht nur für die Anhänger der „grünen Lunge“ im inneren Stadtbereich bevor; sie schließt auch etlichen, längst gestandenen Männern eine liebe Erinnerungsquelle auf: den Anhängern der früheren „Stadtgrobnliga“. Zu diesem „Verein“, der in keinem Register stand, hatten sich bis etwa 1925 kick- und bolzfreudige Nürnberger Buben gesellt, um im Graben ihr sportliches Talent zu messen – Straßenmannschaft gegen Straßenmannschaft, Vorort gegen Vorort.

Maxl Morlock sagt: „Ich weiß, daß es diese ,Vorkickerei´ gegeben hat, aber das war eine Generation vor mir!“ Und die Gebrüder Seppl und Fritz Schmitt vom Plärrer bestätigen, wie sehr hier auf wilden Trainingsplätzen geübt wurde. Auch der spätere Nationalspieler Loni Seiderer und Willi Böß sind daraus hervorgegangen. Im Graben rings um die Altstadt war was los, und „Fußball-Rußla“ sind gelaufen, um das am Behelfstor vorbeigerutschte Leder wieder einzuholen. Diese „Ehemaligen“ können Geschichten erzählen, eine schöner als die andere. Wer weiß, welche Legenden dereinst vom Promenieren durch den Stadtgraben im Grünen von Anno 1965 entstehen werden! Wer bummelt also mit?

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