11. Juni 1968: Die Ingenieur-Studenten streiken
11.6.2018, 07:00 UhrNach dem Streikbeschluß am Ohm-Polytechnikum sind jetzt alle Studenten an den 16 bayerischen Ingenieurschulen in den Ausstand getreten. Aus Solidarität mit den Ohm-Studenten haben außerdem die 360 Kommilitonen an der Höheren Wirtschaftsfachschule zu einem bis zum 17. Juni befristeten Vorlesungsboykott aufgerufen.
„Wir galten seither als die Musterknaben unter den deutschen Studenten. Unsere Geduld ist aber jetzt am Ende.“ Mit diesen Worten machte der Vorsitzende des Allgemeinen Studenten-Ausschusses (AStA) am Ohm-Polytechnikum, Helmut Lindner, dem Ärger über den Ausgang der Kultusminister-Konferenz Luft.
Entgegen der seit zwanzig Jahren von den Studenten angemeldeten Forderung, eine zwölfjährige schulische Vorbildung für die Ingenieurschulen einzuführen, sind in dieser entscheidenden Besprechung die Eingangsvoraussetzungen nicht dem EWG-Niveau angepaßt worden. Bis zum 20. Juni soll die Entschließung der Kultusminister in den Länderparlamenten durchgepeitscht werden.
„Wir kämpfen für eine bessere Vorbildung“, erklärte der AStA-Vorsitzende. „Wir wollen nicht den zweiten Bildungsweg abwürgen.“ Über 50 v. H. der Studenten am Ohm-Polytechnikum „sind volljährig. Aber wir werden wie zehnjährige Volksschüler behandelt“. Nach seiner Auffassung ist es höchste Zeit, den deutschen Ingenieur durch die Einbeziehung seiner Ausbildung in den Hochschulbereich endlich anzuerkennen. Helmut Lindner sieht den Grund für die „inkonsequente Haltung des bayerischen Kultusministers“ in der Aktivität großer Industrieverbände, die ein „finanzielles Interesse daran haben, daß Ingenieure zu reinen Technikern herabgewürdigt“ werden.
In der Vollversammlung rief der AStA-Vorsitzende seine Kommilitonen zur Einigkeit auf. „Wenn wir geschlossen auftreten, können wir vielleicht noch etwas erreichen“, argumentierte er. Im „Hammelsprung“ votierten die Studenten mit überwältigender Mehrheit für den vom AStA vorgeschlagenen Streik, der vorerst bis zum 1. Oktober festgesetzt wurde. Ausgenommen von diesem Beschluß sind die 150 Kommilitonen des 6. Semesters, die im Augenblick im Examen stehen und zum Teil schon Verträge mit der Industrie abgeschlossen haben.
Die Studenten des 1. bis 5. Semesters wollen auch die Prüfungen boykottieren und ihre Arbeiten später nachholen. „Niemand braucht irgendwelche Nachteile zu befürchten“, erklärte Helmut Lindner. „Die Prüfungen werden nicht verschärft, und an den Stipendien werden keine Abstriche gemacht.“ Wann allerdings die Prüfungen nachgeholt werden können, weiß der Leiter des Ohm-Polytechnikums noch nicht. „Das kommt auf die weitere Entwicklung an“, meinte Oberbaudirektor Friedrich Lauck, der „volles Verständnis“ für die Haltung seiner Studenten hat.
Die Dozenten unterstützten alle Aktionen der Studenten, „solange sich die Proteste im Rahmen der demokratischen Grundordnung bewegen“.
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