12. April 1971: Suche nach dem deutschen Blues

12.4.2021, 07:00 Uhr
12. April 1971: Suche nach dem deutschen Blues

Die dritte Scheibe von „Ihre Kinder“ hinterläßt denselben zwiespältigen Eindruck wie ihre Vorgänger. „Ihre Kinder“ brachen mit der ersten Platte in die Pop-Phalanx der englisch singenden Gruppen mit deutschen Texten ein und erhielten allein wegen dieses Wagnisses viel Anerkennung. Mittlerweile stellte sich heraus, daß sie für ihre These, gute deutsche Poptexte schreiben zu können; auch gleich die Gegenthese mitliefern.

Das liegt jedoch weniger an der Sprache als an den Texten. Der Wortrhythmus im Englischen ist besser in Beatrhythmen umzusetzen als bei den ellenlangen deutschen Wörtern, auch die Unterschiede in der Vokalhäufigkeit spielen eine Rolle, aber sonst gibt es wohl kein ernsthaftes Hindernis, gute Poptexte zu machen.

Die Schwierigkeit liegt vor allem darin, eine Sprachebene zu finden, die zwischen Schnulzenplattheit und pseudolyrischen Höhenflügen liegt. „Ihre Kinder“ haben das Ziel, so etwas Ähnliches wie einen „deutschen Blues“ zu schaffen. In ihren besten Stücken kommen sie sehr nahe an diese Vorstellung heran.

Das Lied „Weißer Schnee, schwarze Nacht“ ist von seltener poetischer Kraft. Einfach und ausdrucksstark, in unverbrauchten eingängigen Bildern wird ein heroinsüchtiges Mädchen besungen: „Sie glaubt nicht, was kommt und sie glaubt nicht, was war / Sie stirbt ihr Leben, bevor sie es überhaupt sah.“

Diese Ballade und der Song „Leben Sie wohl“, eine melancholische Elegie im harten Rock, vertreiben den Katzenjammer, den die Worttrunkenheit der restlichen Stücke erzeugt. Kontextlose Aneinanderreihungen schillernder Metaphern verschmelzen in den Songs zu grauer Unverbindlichkeit.

Die Wörter entleeren sich durch ständigen Gebrauch zu hohlen Worthülsen, die nur scheppern und nichts mehr bedeuten. So wird das assoziationsstarke Wort „Feuer“ in fünf aufeinanderfolgenden Songs strapaziert: In „Menschen wie Sand am Meer“ jagt der „Feuerhund“. „Ein bunter Hund zündet Dir ein Feuer an“ in dem Stück „Mantel im Wind“. Dem „Straßenkind“ wird gesagt, daß „überall das Feuer brennt“ und in „Komm zu Dir“ wird „Feuer auf Dein Wort“ getrunken. Die Feldpost des „Toten Soldaten“ liegt im Regen, der „wie Feuer“ fällt.

Dennoch ist diese Platte, die in einem Cover aus Bluejeans-Stoff steckt, hörenswert. Die Nummern sind exakt durcharrangiert, bieten interessante stereophonische Effekte und lassen die trotzige Härte dieser Gruppe spüren, die unbeirrbar ihren Weg geht. „Ihre Kinder“ wollen sich nicht hinter der Anonymität unverständlicher englischer Texte verstecken. Sie suchen den Kontakt mit dem Publikum über das unmittelbare Medium der gemeinsamen Sprache. Wer sich für die Emanzipation deutscher Gruppen in der internationalen Pop-Szene interessiert, sollte „Ihre Kinder“ nicht überhören.

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