12. Juli 1969: Erholung im Grünen

K. N.

12.7.2019, 07:00 Uhr
12. Juli 1969: Erholung im Grünen

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Das dreigeschossige Haus wird in den Sommerferien renoviert und als Schullandheim eingerichtet. Die Kostenfrage ist bereits beantwortet. Frau Liese Porst schenkte der Anstalt einen Scheck über 30.000 Mark. Ihr Gatte, Konsul a. D. Hanns Porst, hat bereits das angrenzende Grundstück zum Vorzugspreis verkauft.

Vor zahlreichen Ehrengästen wurde gestern das schmucke Heim seiner Bestimmung übergeben. Gerührt nahm Sophie Klein die Huldigungen der blinden Kinder entgegen, die sich mit Gesang, Flötenspiel und Gedichten für das Geschenk bedankten. Liese Porst hatte Tränen in den Augen, als ihr die Kleinen einen bunten Wiesenstrauß überreichten.

„Ein Landschulheim für unsere blinden Kinder schien uns so immer so unerreichbar wie der Mond. Doch beide Träume waren zu verwirklichen“, meinte Direktor Josef Radspieler in seiner Begrüßungsansprache. „Die Zeiten des Birkenwäldchens und des Hummelsteiner Parks waren für uns schon lange vorbei. Nun haben unsere Schüler aber wieder die Möglichkeit, die Natur direkt zu erleben. Die Erwachsenen können sich hier vom anstrengenden Umschulungsunterricht und von den Berufsstrapazen am Wochenende erholen.“

Vor neun Jahren hatte sich Sophie Klein entschlossen, die Blindenanstalt als ihren Erben einzusetzen. Die zarte betagte Dame wollte damit den behinderten Kindern eine Freude machen. „Ich bin selbst augenleidend, ich weiß, was es bedeutet blind zu sein.“ Ursprünglich hatte die Spenderin vor, die Erbschaft testamentarisch zu vermachen. „Doch dann schien es mir sinnvoller, den blinden Kindern schon jetzt mein Haus zu überlassen“. Sophie Klein siedelte in eine kleine Wohnung in Hersbruck um. In ihre hübsche Villa mit acht Zimmern, einer Glasveranda und Balkonen zogen die Klassen der Blindenanstalt ein.

Bereits seit 1. April erleben dort die Buben und Mädchen jeweils 14 Tage lang einen Unbeschwerten Landschulaufenthalt. Insgesamt können im „Sophie-Klein-Heim“ 20 Kinder untergebracht werden. „Die Buben und Mädchen sind begeistert von der privaten Atmosphäre, sie fühlen sich hier wie zu Hause“,versicherte Blindenlehrer Dr. Ernst Dorner. „Zum ersten Mal haben sie jetzt Gelegenheit, die Natur zu erfassen“.

Der Aufenthalt in der Villa dürfe aber auf keinen Fall mit Ferien verglichen werden. „Er soll vielmehr den Unterricht an der Schule ergänzen.“ Auf ihren Spaziergängen im 9.000 Quadratmeter großen Grundstück und in der näheren Umgebung können die Kinder die Pflanzen und Tiere ertasten und damit erkennen lernen. Bei einem Landwirt durften sie die Kälbchen und Pferde streicheln. Ein Bäcker und ein Schmied luden die Kinder in die Backstube und Werkstatt ein; im Heimatmuseum von Hersbruck war es ihnen erlaubt die Ausstellungs-Gegenstände selbst in die Hand zu nehmen. „Auf diese Weise kann den Schülern ein ganzheitliches Bild vermittelt werden.“

Ihr eigenes Heim lernten die blinden Schiller erst einmal im Kleinformat kennen. Naturgetreu setzten sie es aus Bausteinen en miniature zusammen, um eine architektonische Vorstellung von der Villa zu bekommen.

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