Neubaupläne beim Rennweg
135 Jahre alt - und bald weg? Wirbel um Abriss von "kleiner Stadtidylle" in Nürnberg
26.06.2021, 20:44 Uhr
Wenn eine unsanierte historische Immobilie den Besitzer wechselt, befürchten Denkmalfreunde aus Erfahrung als erstes den Abriss. An der Martin-Richter-Straße im Stadtteil Rennweg hielten sie das für eine fatale Fehlentwicklung im Viertel.
Still und doch zentral, mit alten Holzfenstern und einem begrünten Hof: Für Claudia Sembach (Name geändert) ist ihr Zuhause "einfach noch eine kleine Stadtidylle". Als Mieterin lebt sie im Rückgebäude eines Ensembles, das in der Martin-Richter-Straße als eines von wenigen aus der Vorkriegszeit datiert. Ins Auge sticht von der Straße aus das dreigeschossige Vorderhaus aus dem Jahr 1886. Es ist im Stil der Neurenaissance aus Ziegeln und Naturstein-Elementen gebaut. Das Gebäude erhielt bei einer Prüfung durch das Landesamt für Denkmalpflege Anfang 2020 keinen Denkmalschutz. Begründung: zu viel Kriegszerstörung, zu viele Eingriffe beim Wiederaufbau um 1950. Auch Ensembleschutz ist für das nach dem Krieg stark veränderte Rennweg-Viertel keine Option.
"Raubbau an Nürnbergs Altbauten"
Im Frühjahr wurden Claudia Sembach und die übrigen Mieter der Nummer 19 per Post über den Verkauf der Immobilie informiert, voraus ging ein Erbfall beim Vorbesitzer. Hellhörig wurden Bewohner bei einer ersten Begegnung mit dem neuen Eigentümer vor Ort. Er habe dabei fallen lassen, wo genau künftig einmal Tiefgaragen und Wohnungen stehen könnten, erzählt Sembach. Eine angrenzende kleine Baulücke – das im selben Stil gestaltete Nachbarhaus wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört – hat er miterworben.
Nürnberg beim Denkmalschutz nur Mittelmaß?
Aus Sicht der Initiative "Nürnberg – Stadtbild im Wandel" gibt es begründeten Anlass zu glauben, dass das den Abriss bedeutet. Der private Zusammenschluss von bauhistorisch interessierten Nürnbergern beklagt in den vergangenen Jahren systematisch Verluste gewachsener Bausubstanz zu Gunsten von charakterlosen, die Fläche ausreizenden Neubauten. In Briefen an den Oberbürgermeister werben Sebastian Gulden und Boris Leuthold, zwei Mitbegründer der Initiative, nun für den Erhalt der Martin-Richter-Straße 19 und protestieren gegen "den Raubbau an Nürnbergs Baukultur".
Das oft angeführte wirtschaftliche Argument, die Sanierung eines Altbaus verteuere den Wohnraum erst recht, wollen sie nicht gelten lassen. Das sei eine Frage der Fachkompetenz eines Investors. Und die Nachfrage nach modernisierten Altbauten sei schließlich nicht zu unterschätzen. Der Verein der Altstadtfreunde teilte den Protest im Internet, mit viel öffentlichem Zuspruch. Unterstützung kommt auch von Stadtheimatpflegerin Claudia Maué: "Es wäre höchst bedauerlich, dass dieses für das Straßenbild wichtige und auch durch die Spuren seiner wechselvollen Geschichte geprägte Haus verschwinden soll."

Eigentümer prüft Neubau
Neuer Eigentümer ist seit Mai ein Privatunternehmer. Der Immobilienentwickler aus dem Großraum Nürnberg versteht die ganze Aufregung nicht. Das Objekt lasse sich ohne Denkmalschutz nun mal nicht rentabel erhalten, sagt er auf Anfrage des Stadtanzeigers. "Aktuell befinden wir uns noch mit den Architekten im Sondierungsprozess, um hier eine adäquate Neuentwicklung, welche das ohnehin nahezu komplett wiederaufgebaute Nachkriegsviertel am Rennweg sicher weiter stark aufwerten wird, planerisch umzusetzen. Bauanträge oder Abbruchgenehmigungen wurden bis dato aber noch nicht gestellt oder eingeholt." Über eine Vorverurteilung ärgert er sich daher. Öffentlich zu Wort melden will er sich in der Debatte jedoch nicht.
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Alter Delikatessen-Laden
Historiker Sebastian Gulden fand bei seinen Recherchen heraus, dass das noch erhaltene Laden-Parterre, in dem ein Sanitärbetrieb sitzt, um 1910 von einem Delikatessengeschäft belegt war. Die Nachfahren dieses Familienbetriebs haben das Haus jetzt aus der Hand gegeben. Für den Hinterhof ist unter anderem ein Schreinereibetrieb dokumentiert. Der Zuschnitt dieser Adresse sei mit seiner typischen Kombination von Wohnen, Handwerk und Kleinindustrie typisch für die Nürnberger Vorstädte wie den Rennweg.
Auch die städtische Bauverwaltung und Untere Denkmalschutzbehörde stuft die Martin-Richter-Straße 19 aus diesen Gründen als wertvoll ein. "Ein Erhalt wäre städtebaulich unbedingt wünschenswert, ist aber nicht zu erzwingen", heißt es von dort. "Formal wäre ein Abbruch leider zulässig."
6 Kommentare
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citrus
@florei Die sogenannten Frischluftschneisen spielen eher im Stadtwesten eine Rolle, da der Wind hier am Häufigsten von Westen kommt. Mir wurde mit diesem Argument ein 17 m hohes Gebäude nähe Westfriedhof verweigert; 9 m wäre gegangen. Warum 200 m weiter auf dem ehemaligen Radloffgelände höher gebaut werden darf, obwohl das Gebäude auch noch wesentlich breiter wird, kann ich nicht nachvollziehen. Ein Invest von ca 5 Mio und ein paar Arbeitsplätze sind damit gestorben. Bei Projekten im Stadtosten wie ehemaliges Colawerk oder der ebenfalls gestorbenen Konzerthalle spielt Frischluftschneise offenbar auch keine Rolle.
florei
Wenn ich mir das Grundstück anschaue, kann ich mir denken, was passiert ist:
Im Vergleich zu seiner Größe hat das Grundstück wenig vermietbare Nutzfläche. Bei der Bemessung des Bodenwertes im Rahmen der Festsetzung der Erbschaftsteuer wirkt sich das indes nicht aus. Vielmehr wird der Bodenwert für ein solches Grundstück mit dem selben Satz ermittelt wie bei einem unbebauten Grundstück oder bei einem intensiv genutzten Grundstück. Im Ergebnis kommt es deshalb zu einer Steuerbelastung, die man als Erbe mit dem Bestandsgebäude nie wieder hereinwirtschaften kann, und es bleibt einem nur der Verkauf.
Wer an solchen Entwicklungen etwas ändern will, muss - auch wenn das nicht dem Zeitgeist entspricht - die Erben von Mietshäusern an diesem Punkt entlasten.
Franke mit Rad und Auto
Da haben die Amis und Briten mit ihren Bombenangriffen nicht alles platt gemacht.
Aber den Rest schaffen die Damen und Herren Investoren mit ihrer Radikalität der finanziellen Maximierung. Das Gesicht einer Stadt ist doch den meisten scheixegal.
Das hat mit Butzenscheibenromantik gar nichts zu tun, sondern mit einer Kleinteiligkeit und Proportion zu den Menschen. Das ist es, was Wohnviertel heimelig macht.
Augenauf
Das der Neubau das Viertel aufwerten soll wird zu beweisen sein. I.d.R. tun die Neubauten genau das Gegenteil: Sie sind gesichtslos und ohne Wiedererkennungswert, die Fassade "besticht" durch aufdringliche Tiefgaragenein- und Ausfahrten und entweder zu große oder zu kleine Fenster - oder garkeine Fenster, wie so oft bei Erdgeschosszonen. Und die angelockten Bewohner ziehen mit ein oder zwei PKW hinzu, identifizieren sich weder mit Wohnung noch Viertel, und erzeugen nur Verkehr. Wenn ein Neubau bereichernd sein soll, dann geht das nicht nur mit "neu" und "Verdichtung", sondern dann braucht es Stil, Gestaltung, unverwechselbares und auch Raum für große Bäume und Höfe. Schade, dass der Käufer es erworben hat um es zu zerstören. Es hätte sicher auch anderer Interessenten gegeben mit konstruktiveren Ideen.
@Fan aus Brüssel
Es ist eine Schande, wie Nürnberg seine (nicht allzu zahlreich erhaltene) Bausubstanz aus der Vorkriegszeit verkommen lässt. Wenn ich durch Leipzig oder Frankfurt gehe, die dortigen stilvoll renovierten Altbauten sehe und dann an den Nürnberger Raubbau denke, blutet mir das Herz. Es erschließt sich mir nicht, warum hier nicht rentabel zu machen sein soll, was anderswo geht.
Was erst mal weg ist, ist weg. Nürnberg macht sich Stück für Stück gesichtsloser und beliebiger. In Erlangen und in Fürth hat man mehr Stil und Gespür für Ästhetik. In Nürnberg helfen dann auch paar Bäume im Kübel oder der Jubel über in weißen Schaumstoffkisten geschaffenen Wohnraum nicht mehr.