14. Februar 1968: Ein Treffpunkt vergessener Stars

W. W.

14.2.2018, 07:00 Uhr
14. Februar 1968: Ein Treffpunkt vergessener Stars

© Weidner

Am „1. Artistenclub 1912 Nürnberg“ werden alle 14 Tage Erinnerungen an große, an vergangene Zeiten wach. Denn einst standen die Artisten, Akrobaten, Alleinunterhalter, Clowns, Puppenspieler und Bauchredner, Steptänzer und Universalkünstler im Rampenlicht verrauchter Etablissements oder zugiger Zirkusbuden. Heute können und wollen sie nur noch davon träumen.

Der Nürnberger Artistenclub brauchte die Bezeichnung „1.“ gar nicht, denn es gibt nur einen. In der Schweinauer Gaststätte „Turnerheim“ hält der gebürtige Berliner Peter Schneider, seit einem Jahr Vorstand des etwa 70-Personen-Clubs, die kleine Schar alter und eine stattliche Zahl junger Kleinkünstler zusammen. Schneider, den der Krieg 1947 nach Nürnberg verschlagen hat, stammt aus einer Zirkusfamilie und dressierte früher Raubtiere für die Manege.

Später reiste er mit einer eigenen Zauberschau „Peter Goldino“ über Land. Er will dafür sorgen, daß die Zunft der regionalen Schausteller und reisenden Artisten nicht in alle Winde verstreut wird und daß der Kontakt der Alten zu den Jungen nicht abreißt.

Als sich 1912 in und um Nürnberg beheimatete Artisten in Gartenlokalen und Wirtshäusern trafen, war noch keineswegs an einen späteren „Club“ gedacht worden. Damals wurden die sporadischen Zusammenkünfte als eine Art Künstlerstammtisch gewertet, wo man von Auslandsreisen und Zunftschwierigkeiten erzählte. Erst viele Jahre später wurden Vorstände und Beisitzer, Kassenwarte und Ehrenmitglieder gewählt.

Der stilisierte Zirkuswagen wurde zum Wahrzeichen dieser kleinen Gesellschaft ohne Haftung. Die Zusammenkünfte wurden regelmäßiger, das Erscheinen betrachtete jeder als Pflicht – soweit er im Lande war und nicht auswärts seine Darbietungen an sein Publikum brachte. Und noch heute können diese „Alten“ fast wortwörtlich nachempfinden, mit welchem Gag oder welcher Nummer sie einst ihre Zuschauer zum Beifall zwangen.

Einer der Senioren ist Ernst Schmeller, Ehrenvorstand und Partner der einst namhaften Clown-Kompanie Wedel-Woob, heute 67 Jahre alt. Er hat seine Auftrittsdialoge noch im Kopf, er kann sich erinnern, wie er damals, vor dreißig Jahren, ein klamaukfreudiges Publikum faszinierte: „Naja, da sind wir eben rausgekommen, ich, der Clown, der Weise. Und meine anderen, das waren die Dummen, die Bunten. Ich hieß deshalb der Weise, weil ich ganz und gar weiß angezogen war ...“

Ein anderes Original ist Andreas Beer, früherer Athlet, dann Akrobat, später der Promoter fränkischer Schausteller. Heute 76 Jahre alt, dient er noch immer seinen jüngeren Kollegen als Manager. Er war schon dabei, als die erste Fürther Kirchweih, das erste Nürnberger Volksfest seine Pforten öffnete. Heute stellt er in zahlreichen Ehrenämtern seine Erfahrungen zur Verfügung: „Will was wer, ist da der alte Beer, den Spruch kennt a jeder!“ erzählt der Veteran, der sein großes Hobby in der Westentasche mit sich herumträgt: Seine Jugendbildnisse, die ihn als strammen Muskelprotz zeigen.

Eine hübsche Festschrift, die vor einigen Jahren erschien, widmet den bereits verstorbenen Vereinsmitgliedern Foto- und Gedenkseiten. Denn auch die nicht mehr lebenden fränkischen Stars sollen – zumindest in der Erinnerung – nicht sterben. Heute kaum mehr bekannte Größen erhielten hier ein Denkmal: der Entfesselungskünstler Harry Martini, der 1960 starb; der Mann mit dem drehbaren Kopf, Laurello, der in den USA begraben liegt; Jongleur Rudolf Salerno, ein Regional-Rastelli, der seit 1946 nicht mehr lebt, und viele andere.

Tatsächlich entpuppt sich – wenn man ein wenig in den spärlich erhaltenen Unterlagen blättert, gerade Nürnberg als Hort bekannter und berühmter Jongleure, deren Namen heute verblaßt sind. Viele zur Jahrhundertwende, oder im ersten Drittel des Jahrhunderts aufgetretenen Luftkünstler kamen von der Pegnitz. Diese Tradition reicht sogar bis in unsere Tage, bis zu Rudi Horn, dessen Engagements ihn in die ersten Häuser nach Las Vegas oder New York führten.

Artistengeschichte geplant

Die heute vergessenen Stars sollen es nicht bleiben. Der junge Werkzeugmacher Georg Boscher, der sich zusammen mit seinem Kollegen in der Freizeit eine bislang nicht erreichte Ballnummer zusammenjonglierte, will allen Nürnberger Artisten ein Denkmal setzen. Rund 300 Adressen hat er bereits gesammelt und in etwa zwei Jahren soll seine Nürnberger Artistengeschichte erscheinen. Nach seinen Forschungen kann er heute stolz behaupten: „Viele Künstler, die international eine Rolle spielten, kamen aus Nürnberg, sind entweder hier geboren, oder haben zumindest lange Jahre hier gelebt!“ Boscher selbst ist regelmäßiger Gast beim zweiwöchentlichen Artistenroundtable in Schweinau.

Der Nürnberger Artistenclub kann seine Mitglieder gesellschaftlich betreuen, ihnen arbeitsrechtlich aber keine Unterstützung bieten. Rechtliche Fragen, die Kündigungen oder Engagementspraktiken betreffen, regelt der Ortsvertreter der Internationalen Artistenloge in Nürnberg, Willi Pflugfelder. Auch er ist vom Fach: Er steppte in Varités und Revuen: „Wir vertreten all diejenigen, deren Auftreten in den Bereich der Kunst fällt. Wir haben uns sogar erweitert und führen in einer besonderen Rubrik Striptänzerinnen ...“

Was den Nürnberger Artisten und Jongleuren besonders am Herzen liegt, ist die künstlerische Anerkennung ihres jetzigen, oder früheren Berufes. Sprecher Georg Boscher: „Noch zu oft werden wir als zwielichtige Leute betrachtet. Das ganze Showgewerbe ist längst anerkannt, durch Funk und Fernsehen, Platte und Podium. Wir Artisten stehen noch immer etwas außerhalb, obwohl wir genauso solide sind, wie die anderen auch. Wir können aber nur hoffen, daß sich das im Laufe der allernächsten Zeit auch ändern wird!“

Eine Artistin, die von ihren Kollegen vielsagend als „Universalkünstlerin“ gepriesen wird, konnte sich auch im Alter noch nicht von dem Flair ihres Berufes trennen: Maria Endres lebt noch heute im Wohnwagen, der auf einem Gelände in Schniegling abgestellt ist…

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