14. Juli 1961: Freche Lausbuben legen Rolltreppen lahm

14.07.2011, 06:59 Uhr
14. Juli 1961: Freche Lausbuben legen Rolltreppen lahm

© Gerardi

 

An diesem Dilemma sind aber diesmal nicht die vielkritisierten Männer vom Bau, sondern die Lausbuben schuld. Diese Knäblein drücken, um andere zum Laufen zu bringen, arglistig den Halteknopf für Notfälle an den Treppen, die daraufhin sofort stehen bleiben. Weil nun aber noch kein amtlicher Tunnelaufseher bestellt ist, rühren sich die Treppen eine Zeitlang nicht mehr.

Den Behörden wohl bekannt, welche bösen Scherze ihnen mit den Rolltreppen gespielt werden, und sie haben es sich auch schon überlegt, wie sie dem Übel steuern können. Nun aber sind die Halteknöpfe an den Seiten der Rolltreppe oben und unten so angebracht, daß sie bei Unfällen rasch betätigt und damit schlimme Folgen vermieden werden können. Obwohl die Knöpfe nicht einmal durch eine Glasscheibe vor Mißbrauch geschützt sind, wie dies bei Feuermeldern beispielsweise der Fall ist, hat es sich bei einigen Unfällen gezeigt, daß Helfer ihre Not haben, sie zu finden.

Um so besser gelingt dies den Lausbuben, die sich zu dem erklärten Zweck an den Treppen herumdrücken, den Fußgängern Ungelegenheiten zu bereiten. „Es ist kein Kunststück, die Rolltreppen zum Stehen zu bringen“, sagt einer der Architekten aus dem Hochbauamt, „selbst Kleinkindern, die nur an den Knöpfen vorbeistreichen, gelingt es“. Gegen die Bösartigkeit halbwüchsiger Burschen hat man bisher auch kein Rezept finden können, denn sie warten oft genug sogar ab, bis Polizeistreifen durch den Tunnel gegangen sind, um dann ihre Streiche ungestört und unauffällig auszuführen.

14. Juli 1961: Freche Lausbuben legen Rolltreppen lahm

© Gerardi

Den geringsten Ärger mit den Rolltreppen hat es bislang im Berufsverkehr gegeben, von dem dieses „öffentliche Verkehrsmittel“ am stärksten beansprucht wird. „Die arbeitenden Menschen haben keine Zeit zum Spielen“, erklärt man in der maschinentechnischen Abteilung des Baureferats, die jene Rolltreppen auch lieber laufen als stehen sieht. So kommt es zu den meisten Störungen, wenn die Schulen zu Ende sind. Kein Ruhmesblatt für die Schüler.

Ein Druck auf den Halteknopf wäre jedoch längst nicht so schlimm, wenn gleich jemand zur Stelle wäre, der die Anlage wieder einschalten könnte. Die Stadt hat aber noch keinen Menschen auf die Beine gebracht, der dieses Amt versieht. Anfangs hatte der Oberbürgermeister der Polizei den Auftrag erteilt, bei den Rolltreppen nach dem Rechten zu sehen; tatsächlich kamen in den ersten Tagen Beamte auf ihren Streifengängen vorüber, die – wenn die Anlage gerade einmal wieder stand – mit einem kleinen Schlüssel wieder „aufdrehen“ konnten.

Inzwischen aber hat die Polizei, die im Betrieb der Rolltreppen keine ihrer Aufgaben sieht und anderweitig stark genug beschäftigt ist, diesen Dienst quittiert. Der einzige Mann, der augenblicklich rasche Hilfe bringen kann, ist der Obst- und Gemüsehändler eines Geschäfts im Tunnel selbst, der das Amt freundlicherweise übernommen hat.

14. Juli 1961: Freche Lausbuben legen Rolltreppen lahm

© Gerardi

Damit aber ist das Problem nicht gelöst. Das Wirtschaftsreferat der Stadt Nürnberg, das über sein Liegenschaftsamt die Einnahmen für die Vermietung von Vitrinen und Kiosken im Tunnel kassiert, muß danach trachten, eine Aufsicht für die Rolltreppen zu finden. Nachdem im Verkehrsausschuß des Stadtrats schon daran gedacht worden war, die Straßenbahnaufsicht mit dieser Aufgabe quasi nebenberuflich zu betrauen, ist dieses Bemühen inzwischen auf so viele Schwierigkeiten gestoßen, daß mit einem Straßenbahner für dieses Amt nicht mehr gerechnet werden kann.

Dass die Stadt um die Verpflichtung, für einen ordnungsgemäßen Betrieb der Rolltreppen zu sorgen, nicht herumkommen wird, macht schon allein die Aufzugs-Verordnung deutlich, die für jedes Haus, in dem ein Personenaufzug fährt, klar vorschreibt, dass ein geprüfter Aufzugführer jederzeit erreichbar sein muß. Freilich ist das Wirtschaftsreferat mit seiner Suche nach einem geeigneten Mann wohl etwas spät dran.

Bei den neuen Rolltreppen-Anlagen, die zum Schraubenturm und auch zum Künstlerhaus führen, haben sich die Techniker etwas einfallen lassen, das den Lausbuben ihr Handwerk legen soll. Sie haben auf den Haltknopf verzichtet, statt dessen aber eine Notbremse eingebaut, die deutlich genug angebracht ist, um bei Unfällen schnell gefunden zu werden, andererseits jedoch auch so im Blickfeld aller Passanten liegt, daß sie kaum einer ungestraft „ziehen“ kann. Es wird auch schon daran gedacht, diese Notbremsen in die bereits bestehenden Anlagen nachträglich einzubauen. Damit könnte sich das Problem einfach lösen lassen.

14. Juli 1961: Freche Lausbuben legen Rolltreppen lahm

© Gerardi

Damit wäre aber für das Wirtschaftsreferat, dem ja auch das städtische Reinigungs- und Fuhramt untersteht, nicht aller Kummer aus der Welt geschafft, denn der Tunnel sieht sich schon jetzt recht schmuddelig an. Aber die städtischen Dienststellen verweisen mit Recht darauf, daß er ja noch teilweise Baustelle ist und gerade deswegen nicht gut gereinigt werden kann. Mit dem Argument "Baustelle" treten sich auch gegen jene Kritiker unter den Bürgern an, denen es auf den unterirdischen Wegen zu sehr zieht. Der Gedanke, Türen an den Einstiegen anzubringen, ist aber abwegig, weil sie ja doch ständig offenstehen würden. Wenn dagegen bemängelt wird, daß keine Toilettenanlagen im Tunnel bestehen, kann den Kritikern nur empfohlen werden, die Augen aufzumachen.

Sobald das ganze Netz von unterirdischen Wegen am Bahnhofsplatz fertiggestellt ist,  wollen die Architekten an seinen Achsen auch noch Hinweisschilder anbringen, die es den Passanten erleichtern, den rechten Pfad zu finden. Sie haben die letzten Tage auch nicht nicht ungenutzt verstreichen lassen und sich mehrfach da drunten umgesehen, um aus den Erfahrungen der Praxis Anregungen für etwaige Verbesserungen zu bekommen. Gegen Bösartigkeiten, wie das absichtliche Anhalten der Rolltreppen, sind jedoch machtlos.

Immerhin hat ihr oberster Chef, Baureferent Heinz Schmeißner, mit seiner Vorhersage Recht behalten, daß die Fußgänger in der Anfangszeit wohl etwas murren werden. Sie tun es ausgiebig. Und damit begeben sie sich wieder einmal in Widerstreit mit den Autofahrern, die - wie es nach einer Woche scheint - mit ihrem neuen Bahnhofsplatz recht zufrieden.

Aus den Nürnberger Nachrichten vom 14. Juli 1961

Keine Kommentare