15. April 1970: Die Mütter- und Elternschule

NN

15.4.2020, 07:00 Uhr
15. April 1970: Die Mütter- und Elternschule

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Nicht nur die Aufmachung, sondern auch der Stil hat sich offensichtlich gewandelt. Äußeres Merkmal ist das Begrüßungsmotto, das an zwei dünnen Fäden von der Decke pendelt: „Zu leben in einer Welt voll krasser Unterschiede, verlangt vom einzelnen Kritik und Entscheidung.“

Die Nürnberger Mütter- und Elternschule, 1957 vom Bayerischen Mütterdienst ins Leben gerufen, wurde durch Näh- und Kochkurse, durch Brautunterricht, Schwangerschaftsgymnastik und Elternberatung bekannt. Seit Anfang April hat sie einen neuen Weg eingeschlagen. Die Losungsworte heißen Demokratie und „Social Groupwork“.

Das Experiment hatte im letzten Herbst mit einer Umfrage unter den Kursteilnehmern begonnen: „Welche Gebiete interessieren Sie am meisten? Worüber sollte man Ihrer Ansicht nach gemeinsam sprechen?“ Über Politik bitte, dann über Literatur und Theater, über Religion, über Eheprobleme – so fielen die Antworten aus, die Leiterin Liselotte Riegler und ihre acht hauptberuflichen Mitarbeiterinnen dazu ermutigten, das Modell in organisierte Bahnen zu lenken. Sieben Diskussionsgruppen laufen dementsprechend schon seit längerer Zeit auf Probe. Und mit Erfolg. In der Ehediskussionsgruppe zum Beispiel brüten zur Zeit sechs junge Ehepaare zwischen 25 und 40 über der „Emanzipation des Mannes – psychologisch gesehen“.

Noch im April sollen sich drei weitere Kurse, die kaum mehr als solche zu bezeichnen sind, dazugesellen. Die Themen, die Form, den Diskussionsleiter, falls überhaupt erwünscht, können und sollen die Teilnehmer dieser zwangslosen Gesprächsrunde selbst bestimmen. Einziges bürokratisches Zugeständnis ist ein Gruppensprecher, der aus den eigenen Reihen gewählt wird und als Repräsentant an den Lagebesprechungen auf höherer Ebene teilnimmt.

Im Rahmen der Reform wurde auch den Schöngeistern Rechnung getragen. Kunstgeschichte, Werken und Gesang stellen ihrerseits eigene Gruppen dar. Eine weitere bemüht sich um soziale Kontakte. Freiwillig und ehrenamtlich soll hier praktische Hilfe im Haus und außer Haus angeboten werden.