16. April 1968: Demonstration ohne Publikum

16.4.2018, 07:00 Uhr
Hier mussten die Gesetzeshüter durchgreifen, als die Kolonne an der Ecke König-/Karolinenstraße von der Route abweichen und die Südkaserne erreichen wollte.

© Gerardi Hier mussten die Gesetzeshüter durchgreifen, als die Kolonne an der Ecke König-/Karolinenstraße von der Route abweichen und die Südkaserne erreichen wollte.

Nur wenige Passanten standen am Straßenrand und verfolgten das Schauspiel, das sich ihnen bot, als rund 700 Kinder, Jugendliche und Erwachsene - 300 davon kamen aus dem übrigen Nordbayern - mit Ho-Tschi-Minh-Rufen und Vietcong-Fahnen, Plakaten und Dutschke-Porträts von der Veit-Stoß-Anlage aus quer durch die Stadt zur Meistersingerhalle zogen. Das Gros der Bevölkerung aber nutzte den Sonnentag auf andere Weise. Es mied die Innenstadt und ging auf Osterwanderung.

So blieb der außerparlamentarischen Opposition nur der publikumswirksamere Samstag, als sie vor den Augen einkaufender Hausfrauen und Familienväter versuchte, am Mittag vier wichtige Kreuzungen zu blockieren. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.

16. April 1968: Demonstration ohne Publikum

© Gerardi

Das Rechtsreferat der Stadt hatte den Gesetzeshütern die Möglichkeit zum Einschreiten gegeben. Es verbot die von der "Kampagne für Demokratie und Abrüstung" angemeldete fünfminütige Verkehrsruhe "zum Gedenken an die Opfer des amerikanischen Aggressionskrieges" in Vietnam mit der Begründung, die öffentliche Sicherheit und Ordnung sei dadurch unmittelbar gefährdet.

Dennoch versuchten die Atomwaffen-Gegner an der Lorenzkirche, am Bahnhofsplatz und am Plärrer, die Autos aufzuhalten. Besonders turbulent ging es an der Lorenzkirche zu, als Schlag 12 Uhr die Demonstranten die Straße beschlagnahmten. Die Polizisten, die bereits in Bereitschaft gelegen hatten, packten sofort zu. Sie verfrachteten die meist Jugendlichen, die sie mit "Nazi-Schweine" und "Gestapo" empfangen hatten, auf die Gehsteige.

Als drei Minuten später das Mittagläuten von den Türmen der Lorenzkirche verstummte, bekamen auch die Fahrzeuge wieder grünes Licht. Ebenso rasch verhinderte die Polizei am Bahnhofsplatz und am Plärrer die vorgesehene Verkehrsruhe. Die Bevölkerung bezeugte dabei unverhohlen den Beamten Sympathie.

Am Sonntag um 14 Uhr startete schließlich der Zug der 700. In der Veit-Stoß-Anlage blieben zahlreiche Plakate zurück, die keine Liebhaber gefunden hatten. Der Weg der Ho-Tschi-Minh-Rufer, Fahnenschwinger und Spruchbandträger, die heuer gegen die Notstandsgesetze, den Vietnam-Krieg und die Springer-Presse zu Felde zogen, führte auch am Polizeipräsidium vorbei. Die Ostermarsch-Organisatoren nutzten die Gelegenheit zu einer Rede, in der - bezogen auf die Ereignisse des Vortages - das Recht auf freie Meinungsäußerung über die Straßenverkehrsordnung gestellt wurde. Die Pausen nutzte die Menge, um zu rufen: "Macht aus Polizisten gute Sozialisten!"

Vorbei an dem mit Bereitschafts- und Landpolizei abgeriegelten Amerikahaus - die Polizeikette tauften die Demonstranten herablassend "Notstandsübung" - erreichte schließlich die Schlange die Ecke König- und Karolinenstraße. Die bis dorthin friedlich gebliebenen Teilnehmer des Ostermarsches versuchten, von der genehmigten Route abzuweichen und die Südkaserne anzusteuern.

Die Polizei stemmte sich gegen das Ausbrechen. Es kam wie schon am Samstag zu Tätlichkeiten, bei denen sechs Beamte verletzt wurden. Einer der Uniformierten bekam einen Messerstich in die Hand ab. Ein Demonstrant, der einen Polizisten ins Gesicht geschlagen und dessen Brille zertrümmert hatte, wurde festgenommen. Er konnte - so heißt es in einer gestern herausgegebenen Erklärung - "als der arbeits- und wohnungslose ehemalige Fürsorgezögling Peter L. (21) identifiziert werden, der bereits im In- und Ausland wegen verschiedener Einbruchdiebstähle gesucht wurde."

So dauerte es schließlich bis gegen 17 Uhr, ehe die Kolonne an der Meistersingerhalle eintraf. In deren Räumen - im Foyer wartete ein Friedensbasar, dessen Erlös für eine Klinik nordvietnamesischer Napalm-Verletzter verwendet werden soll, auf die Kunden - verstummten urplötzlich alle Schlachtenrufe. Nur bei den Jugendlichen schäumte zuweilen die Begeisterung über, als die Beat-Band aufspielte. Die älteren Atomwaffen-Gegner hielten sich dafür die Ohren zu.

Beiden gerecht wurde aber die Revue mit namhaften Kräften wie Hans Dieter Hüsch, Dieter Süverkrüp oder dem Franzosen Claude Vinyc. Zwischen Chansons, Protestsongs und Vorträgen versicherten die Sprecher, daß sie Mittrauer und Anteilnahme der Establishement-Prominenz über den Tod Dr. Martin Luther Kings und über das Attentat auf Rudi Dutschke ablehnen würden. Die Seitenhiebe galten dem Verleger Axel C. Springer wie den "Herrschenden, die die Probleme nicht lösen können und in der außerparlamentarischen Opposition einen Sündenbock suchen".

Verhinderung der Notstandsgesetze - am 11. Mai soll ein Sternmarsch auf Bonn stattfinden - und Frieden in Vietnam: das waren die beiden wichtigsten Ziele, die im großen Saal verkündet wurden. Auch in der Nachbarstadt Fürth kam es - erstmals beim Marsch - am Samstagnachmittag zu unliebsamen Vorfällen, als die Marschierer vor dem Rathaus den vorgesehenen Weg verlassen und zur Schwabacher Straße durchbrechen wollten, einen Versuch, den sie anschließend ein zweites Mal in Richtung William-O‘Darby-Kaserne unternahmen, deren Haupteingang von amerikanischen Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett gesichert wurde. Beide Male gelang es jedoch der Fürther Polizei, die Menge aufzuhalten und in die rechten Bahnen zu lenken.

Im übrigen hielten die Nachwehen des Ostermarsches auch gestern noch an. Die Nürnberger Polizei nahm wieder einmal den Kabarettisten und Marsch-Mitorganisator Horst W. Blome vorübergehend wegen Nötigung und Sachbeschädigung fest. Der 30-Jährige, der um 17.25 Uhr wieder entlassen wurde, hatte auf dem Hauptmarkt die Luft aus den Reifen eines Streifenwagens herausgelassen.

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