Redakteur war einen Tag als Bierfahrer unterwegs

16. August 1971: Nach zwölf Stunden harter Arbeit kam der Muskelkater

16.8.2021, 07:00 Uhr
16. August 1971: Nach zwölf Stunden harter Arbeit kam der Muskelkater

© Hans Kammler

Und in vielen Geschichten wird von unglaublichen Trinkleistungen berichtet. Stimmt diese Klischeevorstellung? Ein NN-Redakteur wollte es wissen und machte einen Tag lang Bierfahrer. Es wurde ein langer Tag, der bereits um sechs Uhr begann. Im Auslieferungslager der Lederer-Brauerei wurde eifrig gearbeitet, Wagen um Wagen rollte schwerbeladen hinaus. Der Chronist war der Innenstadttour zugeteilt worden, seine – erfahrenen – Begleiter waren Hans Wagner und Sepp Baier, der zugleich den Lastwagen lenkte. Der versperrte Waffenhof wurde mit einem riesigen Schlüssel geöffnet, sechs Hektoliter wurden abgeladen. Das war mit erstaunlich wenig Kraftaufwand verbunden: die Fässer wurden an den Rand der Ladefläche gerollt und fielen, von Sepp gelenkt, aufs Faßkissen. Nun konnten sie weitergerollt werden ins Kühlhaus, wo sie nebeneinander aufgestellt wurden. Auch hierzu brauchte der Bizeps nicht sonderlich angestrengt zu werden. Bald war dem frischgebackenen Bierfahrer klar, daß nicht die Fässer, sondern die Kästen die größten Anstrengungen erforderten. Außerdem hatte er noch nicht die Technik heraus, die Kästen nur leicht anzuheben und dann herabzuziehen. Vielmehr holte er sie mit weitem Schwung herunter. Beim dritten wurde ihm warm, beim achten lief ihm das Wasser übers Gesicht.

Die Brotzeit war für ihn eine Erlösung. Mit fast empörter Verblüffung sah er, daß Sepp Kaffee trank. Im Laufe des Tages würde sich das schon ändern, beruhigten sie ihn. Er dürfe sich getrost ans Bier halten und brauche keine Hemmungen zu haben. Die hatte er auch nicht. Hans nützte die Gelegenheit, die Lieferscheine auszufüllen. Weiter ging es durch die Innenstadt, die mit ihren vielen Einbahnstraßen ständig zu großen Umwegen zwang, bis das Vormittagsprogramm erledigt war. Ohne Pause, denn die Nachmittagsroute versprach ausgedehnter zu werden. Das Leergut wurde abgeladen, neue Fracht kam auf den Wagen. Seufzend stellte der Chronist fest, daß beim Anlegen der Kühlräume in den seltensten Fällen an den Bierfahrer gedacht worden war. Rühmliche Ausnahme war das „Bratwursthäusle“: eine leicht geneigte betonierte Rampe führte in den Keller hinab. Und auch im „Bratwurstherzle“ war es nicht schwer, da half ein Aufzug.

Über weiche Teppichböden in den Kühlraum

Umständlich war der Biertransport ins „Coupe“, das im zweiten Stock gelegen ist. Zuerst wurden die Fässer in den Hof gerollt, wo sie per Lastenaufzug in den Keller hinabgelassen wurden. Dort wurden sie zu einem uralten Aufzug transportiert, der aussah wie ein großer Eisenkäfig. Die drei hatten Glück. „Er funktioniert“, freute sich Hans und fuhr mit den Fässern hinauf ins „Coupé“. Abermals mußten sie gerollt werden, diesmal über weiche Teppichböden, ehe sie im Kühlraum verstaut wurden. Anstrengender war es im „Café Kröll“. Unmengen von Flaschenbier und Limonade mußten über steile Steinstufen in den Kühlraum gebracht werden. Und wenn Hans und Sepp es auch fertigbrachten, sogar über die Stufen den Sackkarren zu benutzen, empfand es der Dritte im Bunde doch als eine rechte Schinderei. Aber ihn hatte ohnehin der ursprüngliche Elan längst verlassen. Der Chef des Hauses hatte ein Einsehen und überreichte zum Abschied jedem der drei eine riesige Doppelstulle mit Wurst, an der sie eine Viertelstunde lang kauen konnten.

Mittlerweile war auch Sepp vom Kaffee zum Bier übergewechselt. Am Abend hatte das Trio einen Kasten geschafft. Es wurde ein Zwölfstundentag, bis alle Kunden bedient waren. Bei der jetzigen Hitze dauert es oft noch länger. Die drei waren rechtschaffen müde, der Chronist nicht nur das. Er kam der Klischeevorstellung von einem Bierfahrer am Abend frappierend nahe. Ein paar Stunden später, in einem Lokal, befand er: „Eigentlich ein recht schöner Beruf.“ Am nächsten Tag, beim Aufstehen um die Mittagszeit, revidierte er sein Urteil mit einem schmerzvollen Aufschrei: „Jessas, der Muskelkater!!!“

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