16. Dezember 1967: Bild der alten Stadt: Kulisse der Festwiese
16.12.2017, 07:00 UhrDas prominente Publikum im Parkett und auf den Rängen ist heute schon gespannt darauf, wie Bayerns früherer Staatsopern-Intendant, Prof. Dr. Rudolf Otto Hartmann, die Festwiese in Szene gesetzt hat. Bei diesem treudeutschen Schlußakkord der Meistersinger ist Nürnbergs Platz in der Kulisse nicht mehr gesichert, seit Richard Wagners verstorbener Enkel Wieland das Werk in verschiedenen Experimenten auf modern getrimmt hat. Professor Hartmann aber will die Nürnberger Lokalpatrioten und die Wagner-Freunde nicht enttäuschen. Seine Regieauffassung sagt er in einem Satz: „In diesem Stück hat keine Person die Hauptrolle; die einzige große und bedeutende Rolle spielt die Stadt Nürnberg selbst!“ Die Inszenierung ist darauf abgestimmt.
Die Meistersinger geben seit Wochen schon im Opernhaus den Ton an. Morgendlich leuchtet‘s auf der Bühne und tönt‘s aus allen Ecken und Enden des Hauses. Alle übrigen Proben müssen hintanstehen, wenn Prof. Dr. Rudolf Otto Hartmann Richard Wagners musikalisches Denkmal für Nürnberg in Szene setzen, wenn Generalmusikdirektor Hans Gierster das große Orchester mit Pauken und Trompeten einstudieren will.
Ebenso emsig freilich ist Nürnbergs Weiblichkeit mit den Meistersingern beschäftigt, sofern der Herr Gemahl zu dem auserwählten Kreis gehört, der vom Oberbürgermeister höchstpersönlich zur Festaufführung geladen ist. Die Damen der Minister und Abgeordneten, der Koryphäen von Kultur und Wirtschaft sehen sich vor ein Problem gestellt, das ansonsten erst vor dem Pressefest akut wird: das Problem „Abendkleid“. Denn Meistersinger-Premiere ist in Nürnberg nicht alle Tage, bestenfalls alle zwei oder drei Jahrzehnte einmal.
Von solchen Sorgen waren die Nürnberger noch nicht geplagt, als die Stadt zum letzten Mal alles aufbot, auf daß der Ruf würdevoll erklinge: „Verachtet mir die Meister nicht.“ Das war im Jahre 1950 gewesen. Zur 900. Wiederkehr jenes denkwürdigen Ereignisses, da Nürnbergs Name zum ersten Mal in einer Urkunde auftaucht, erklang Richard Wagners Musik zum Ruhme der alten, freien Reichsstadt ebenfalls in einer glanzvollen Aufführung, die Bundespräsident Professor Heuss im Publikum sah.
Damals brauchten die Herren der Schöpfung nicht zu fürchten, daß der Smoking – wenn überhaupt vorhanden – die Wohlstandsfülle kaum noch faßt. Die Damen wiederum mußten keine schlaflosen Nächte hinnehmen, weil die Konkurrenz in der Kleidung so bescheiden war wie die Zeiten nach der Währungsreform. Und auch Professor Hartmann, der 1950 schon den Nürnbergern „ihre“ Meistersinger bescherte, konnte an die Tradition vor 1933 anknüpfen, weil Wieland Wagner noch nicht seine aufsehenerregenden Inszenierungen dieses Werks in die Welt gesetzt hatte.
Alles war ein bißchen bescheidener – damals. Sogar das Ensemble am Opernhaus. Aus eigener Kraft konnten die Nürnberger die Meistersinger nicht auf die Bühne stellen. Sie mußten so renommierte Gäste wie Lorenz Fehenberger als Stolzing, Karl Kronenberg als Sachs, Trude Eipperle als Eva und Kurt Böhme als Pogner holen, um ihrer Festaufführung Klang und Glanz zu geben. Professor Hartmann überraschte das Publikum mit einer Festwiese, die noch die Illusion eines unzerstörten Nürnberg gab. Die Türme von St. Sebald beispielsweise, die da in der Kulisse aufragten wie eh und je, präsentierten sich im Alltag ohne Bühnenzauber als Stümpfe ohne Helm und Patina.
Trümmer und Ruinen waren der Preis dafür, daß die Nürnberger einmal auserwählt schienen, die Festspielstadt der Meistersinger zu werden. Alljährlich zu den Reichsparteitagen ließ Adolf Hitler dieses Werk Richard Wagners aufführen, ja er spielte sogar mit dem Gedanken, es nur noch in Nürnberg auf die Opernbühne zu bringen.
Da kamen Stargäste wie Wilhelm Furtwängler, der 1935 als Dirigent am Pult stand. Da wurde ein Stück Reichsparteitagsgelände ins Opernhaus getragen, denn die Festwiese glich mehr dem Märzfeld, die Kaiserburg auf der Kulisse den Ordensburgen des NS-Regimes. Und im Publikum saßen die Germanen in braunen und schwarzen Uniformen, um sich – wie sie glaubten – von Richard Wagners Musik verherrlichen zu lassen.
Zwischen einst und jetzt liegt der Weg, den Professor Hartmann zu beschreiten gedenkt. Er will den Meistersingern die Belastungen der vergangenen politischen Epoche nehmen, zugleich aber nicht eine schockierende und ganz moderne Aufführung bieten. „Mir scheint der Sinn jeder Meistersinger-Interpretation darin zu liegen, Nürnberg richtig zu sehen, die Stadt ihrer Belastungen zu entkleiden und sie auf den Kern ihrer großen Vergangenheit zurückzuführen“, erklärt der langjährige, pensionierte Intendant der Bayerischen Staatsoper.
Auf seiner Festwiese soll es keinen Fahneneinzug und keinen Rieseneinmarsch geben. Licht und Malerei türmen ein Nürnberg auf, das wie ein alter Stich im Goldrahmen erscheint, jedoch nicht naturgetreu abgezeichnet ist. „Eine völlige Abstraktion ins Uferlose halte ich gerade in dieser Stadt nicht für richtig, weil ich es hier mit einem Publikum zu tun habe, das schließlich seine Stadt kennt“, meint Professor Hartmann, der gerade auf der Festwiese die Repräsentanten Nürnbergs in den Mittelpunkt stellt, die Silhouette der Stadt nur um sie herumlegt.
Die zwei Seiten der Franken
Neu und fortschrittlich nennt der Regisseur seine Arbeit mit den Darstellern. Dabei geht es ihm darum, die Spannungen im Charakter der Franken aufzuzeigen, die nach seiner Ansicht nüchtern und ernst ihrer Arbeit nachgehen, aber auch überschwenglicher Lebenslust huldigen. „Sonst wäre es nicht zu verstehen, daß sich die Meister in der Nacht prügeln, am nächsten Tag aber wieder auf der Festwiese einig versammelt stehen!“
Professor Hartmann wittert die Gefahr der Kritik aus „gewissen intellektualistischen Kreisen“, weil er keinen Super-Wieland bietet. Er hält dem aber jetzt schon entgegen, „daß die Versuche von Wieland Wagner noch keine abgeklärte Form gebracht haben“, denn sonst hätte der Wagner-Enkel nicht jedes Jahr neue Wege beschritten. Wäre Wieland nicht so früh gestorben, er hätte sicher eine Form gefunden und an ihr festgehalten.
Große Rollen – selbst besetzt
Bayreuth hat übrigens früher sogar einmal Anleihen für die Meistersinger in Nürnberg aufgenommen. Zur Wiedereröffnungsvorstellung im Jahre 1951, die kein Geringerer als Herbert von Karajan leitete, war das Geld im Festspielhaus so knapp, daß das Opernhaus mit Kostümen für die Massenszenen aushelfen mußte. Nur die Solisten erschienen damals in neugeschneiderten Kleidern.
Noch mehr aber als die Festspiele hat sich die Nürnberger Oper gemausert, die diesmal ohne fremde Hilfe die alten Meister singen lassen kann. Sebastian Feiersinger als Stolzing, Simone Mangelsdorff als Eva und Heinz Imdahl als Hans Sachs spielen die großen Rollen.
Ihre Stimmen sollen weithin künden, welches Ansehen und welche Bedeutung die Städtischen Bühnen Nürnberg besitzen, die Bühnen in der Stadt der Meistersinger.
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