16. Februar 1968: "Es geht uns alle an"

16.2.2018, 07:00 Uhr
16. Februar 1968:

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Von Dezember bis Ostern will das Schulamt in Zusammenarbeit mit den Nürnberger Volksschulen ergründen, mit welchem Erfolg die Abschlußklassen im Unterricht mit der Zeitung bekannt gemacht werden und zur eigenen Meinungsbildung angeregt werden können.

Das jeweils vierwöchige Experiment mit lebendiger Zeitgeschichte wird gegenwärtig bis zum 24. Februar an den Volksschulen Knauerstraße, Bertha-von-Suttner-Straße, Schweinauer Straße, Hopfengarten- und Eibenweg gemacht.

Ein Spiegelbild für die nachhaltigen Eindrücke und Interessen der 21 Schüler von Oberlehrer Wilhelm Gersching stellen die Berichtshefte dar, die die 14jährigen als Zusammenfassung der täglichen Lesestunde anfertigen. Sie erarbeiten und suchen zwar gemeinsam die wichtigsten Tagesereignisse, aber wie diese dann berücksichtigt werden, bleibt dem Schüler überlassen.

Der Sport scheint für alle das wichtigste Ressort zu sein und dem Club gehört die besondere Aufmerksamkeit. Lokalereignisse, wie Winterschlußverkauf, Verbrechen oder Gebühren- und Preiserhöhungen werden sorgfältig vermerkt, "denn so etwas geht uns alle an oder unsere Eltern", meinen die Buben übereinstimmend. Politik und Weltgeschehen kommen sehr unterschiedlich dabei weg. Der Offensive in Vietnam widmen einige mehrere Seiten, andere nur ein Schlagzeile mit Bild.

Auch Schüler- und Studentendemonstrationen lassen viele anfänglich kalt. Sie sind sich nicht sicher, um was es dabei eigentlich geht. Ausschreitungen halten sie für Unfug, "weil man so etwas nicht macht".

In der Diskussion mit Oberlehrer Gersching wird der Sinn des Unterrichts für den Zuschauer plötzlich deutlich. Er fordert die Kinder zur Stellungnahme heraus. Er nimmt abwechselnd den Standpunkt von Professoren, Politikern oder Demonstranten ein. Da erwacht der Idealismus, meist aber auch eine recht praktische und realistische Denkungsart bei den Jugendlichen. Sie versuchen nach und nach einen goldene Mittelweg zu binden.

Noch einen Vorteil bietet die Zeitgeschichte aus der Zeitung: Beziehungen zu anderen Unterrichtsfächern werden hergestellt, Erkunde und Geschichte werden lebendiger. Grenoble, vormals einer von vielen Punkten auf der französischen Landkarte, erhält plötzlich Bedeutung als Olympia-Stadt. Ideologien und Staatsformen werden in der Theorie durch die Praxis erläutert, die die Buben in Reden und Handlungen der politischen Vertreter aus der Zeitung ersehen.

Schließlich lernen sie ganz nebenbei, Wichtiges von Unwichtigem zu scheiden, auszusortieren und sich in der knappen Zeit von 45 Minuten zu informieren, so daß sie mitreden können. Ein System, das sie bei allen Arbeiten brauchen können wenn sie ihre Zeit nützen wollen.

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