18. Oktober 1968: Klare Antworten auf klare Fragen

K. E.

18.10.2018, 07:00 Uhr
18. Oktober 1968: Klare Antworten auf klare Fragen

© Ulrich

Sie gibt aber die gute Atmosphäre wieder, die im kleinen Saal der Meistersingerhalle herrschte, als sich gestern abend bei der „NN“-Veranstaltungsreihe „Zu Gast bei...“ der Erste Mann im Präsidium in der Ludwigstraße ins Kreuzverhör der Bürger wagte. Dabei gab es natürlich auch eine ganze Reihe ernster Fragen, beispielsweise nach der Umorganisation und nach dem Einsatz von Elektronenrechnern bei der Verbrechensbekämpfung. Der 45jährige Jurist gab ausführlich und fundiert Bescheid.

So entwickelte sich unter der Regie von Redakteur Walter Schatz ein lebhaftes Gespräch, das den Nürnbergern vielleicht besser als an den „Tagen der offenen Tür“ einen Blick hinter die Kulissen ermöglichte.

Daß sich Dr. Horst Herold nicht scheute, auch seine persönliche Meinung zu sagen, zeigte sich gerade, als ein Bürger wissen wollte: „Braucht man für diesen Posten ein Parteibuch?“

Dr. Horst Herold: „Ja, also das ist leider richtig. Ich sage ganz offen, daß die Besetzung polizeilicher Führungspositionen politisiert worden ist – meines Erachtens ein Strukturdefekt. Wenn Sie aber mich persönlich ansprechen, so muß ich Ihnen sagen, daß ich schon lange Mitglied der SPD bin, ein sehr aktives Mitglied sogar. Denn ich meine, daß man hier eine gesellschaftliche Pflicht erfüllen kann. Ob ich aus parteipolitischen Gründen Polizeipräsident geworden bin, vermag allerdings nur der Stadtrat zu sagen. Meine Berufung erfolgte einstimmig. Und es könnte ja sein, daß der Stadtrat der Ansicht war, ich sei der geeignete Mann dafür.“

Frage: „Ist die Nachkriegsgeneration besonders strafanfällig und was tut die Gesellschaft zur Verhütung von Verbrechen?“

Dr. Horst Herold: „Ich bin Ihrer Auffassung: besser Verbrechen verhüten als verübte Delikte bekämpfen. Wir haben jetzt ein Programm für die Datenverarbeitung ausgeknobelt, daß nahezu eine automatische Bekämpfung ermöglicht. Der Computer druckt Karten, auf denen Kriminalität und Konzentration sichtbar werden, die zeigen, wo wir eingreifen müssen. Wir können sogar Hochrechnungen mit einer Treffsicherheit bis zu 94,5 Prozent anstellen. Was den Anteil der Jugendlichen angeht: diese Generation ist nicht schlechter als frühere. Der Anteil der Jugendlichen an der gesamten Kriminalität bleibt nahezu konstant.“

Frage: „Die Polizei ist ins Spannungsfeld der Politik geraten. Wie können Beamte erkennen, wo das Gute aufhört und das Böse anfängt?“

Dr. Horst Herold: „Dort, wo es bei einer legalen Versammlung – wie einer Demonstration gegen Notstandsgesetze – Sachschaden und Verletzte gibt, fängt das Böse an.“

Frage: „Warum wollen Sie die Großraumreviere abschaffen?“

Dr. Horst Herold: „Hauptgrund zur Konzentration im Präsidium ist der Personalmangel. Die Lösung muß sein, die wenigen Leute dort einzusetzen, wo sie gebraucht werden. Dort wird es wieder Fußstreifen geben.

Frage: „Wird die Leistung eines Beamten an der Zahl der gebührenpflichtigen Verwarnungen gemessen?“

Dr. Horst Herold: „Das ist eine immer wiederkehrende Behauptung. Ich kann Ihnen versichern – ich hoffe, Sie nehmen es mir ab –, daß dem nicht so ist. Aber: wenn ich durch die Stadt gehe, sehe ich alle fünf Minuten eine Verkehrsübertretung. Und wenn ein Beamter gar nichts sieht, kann auch etwas nicht stimmen. Im übrigen kommt der große Schreck auf die Bürgerschaft noch zu: das Ordnungswidrigkeitengesetz, über das wir sehr unglücklich sind. So sehr wir uns auf der einen Seite darüber freuen, daß Delikte im Straßenverkehr von der übrigen Kriminalität getrennt werden, so sehr ärgern wir uns, daß man der Polizei gleichzeitig drei Aufgaben aufbürdet; die Ämter des Ermittlers, des Anklägers und des Richters. Nun müssen wir Geldbußen festlegen, die bei Parkvergehen bis zu 20 Mark, bei Vorfahrtsverletzung bis zu 1000 Mark betragen können. Ich bin sicher, daß sich die Konflikte zwischen Polizei und Bürgern verschärfen werden.“

Frage: „Die Polizei gleicht ihrem Aufbau nach immer noch dem Militär. Sie wollen das ändern. Was haben Sie vor?“

Dr. Horst Herold: „Wir haben erkannt, daß das militärische Modell auf die Polizei nicht mehr paßt, denn beides ist grundverschieden, Der Soldat muß Gegner vernichten, der Polizist soll Leben erhalten. Der Beamte soll deshalb nicht mehr der Vollstrecker oftmals veralteter Gesetze, kein willenloses Werkzeug der Obrigkeit sein. Was wir brauchen, ist so etwas wie ein Dienstleistungsunternehmen für den Bürger, dem wir Sicherheit verkaufen. Neben ein gewisses Maß von Weisung, Disziplin und Gehorsam muß die Beratung, das Gespräch der Mitarbeiter, die gegenseitige Konsultation kommen!“

Zwei Stunden lang dauerte dieses Frage-und-Antwort-Spiel, bei dem Präsident Dr. Herold nicht nur Redegewandtheit, sondern auch Schlagfertigkeit zeigte. Köstlich amüsierten sich die Nürnberger, als er die Frage von Walter Schatz: „Sind junge Beamte schärfer als ältere Kollegen?“ mit dem Trumpf konterte: „Ja, das ist eine Altersfrage, jüngere Journalisten sind auch schärfer als ältere!“ Das Fazit: der Polizeichef hatte sich am Ende seine „Horst“-Karikatur redlich erredet.

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