"Omas Zeiten" feiern wieder fröhliche Urständ
19. August 1971: Die Beeren sind reif: Zur Ernte in den Reichswald
19.8.2021, 07:00 UhrDas erkennen heuer weitaus mehr Großstädter als in den Jahren zuvor. Die Kostensteigerungen vor allem im Lebensmittelbereich treiben sie fast wie in schlechteren Zeiten in Scharen in die Wälder rund um Nürnberg. Der Muskelkater, den sich die bewegungsarmen Nürnberger mit Sicherheit dabei holen, lohnt sich: das Pfund (Blau-, Schwarz-, Heidel-)Beeren wird zwischen drei und vier Mark gehandelt, sofern überhaupt noch welche zu haben sind; Preiselbeeren kosten sogar in der jetzigen Hauptsaison den stolzen Preis von 3,60 Mark pro Pfund.
Klagelied der Pilzsucher
Die überaus günstige Witterung half dem Erinnerungsvermögen der Nürnberger an „Omas Zeiten“ zusätzlich auf die Sprünge: das warme Frühjahr, das kaum nennenswerte Nachtfröste brachte, bewirkte eine frühe Blüte aller Beerenarten des Waldes, und der regenreiche Juni und die nachfolgenden Hitzewellen ließen die Beeren frühzeitig in Massen reifen. Freilich bringt der Vorteil des warmen Wetters auch Nachteile mit sich: auf den sonnenüberfluteten Waldplätzen wurden die Blaubeeren bald zu „Trockenbeeren“, so daß der Pflücker jetzt schon tief in den Wald marschieren muß, wenn er pralle Früchte ernten will.
Dazu stimmen die Schwammerlsucher, die sich Anfang Juni auf ein gutes Pilzjahr gefreut hatten, als die Maronen und „Pfiffer“ schon zuhauf aus dem Boden schossen, ein Klagelied an: die noch jungen Pilze vertrockneten schon im Waldboden. „Die kann man ja gleich als Trockenpilze für den Winter in den Sack stecken“, jammerte ein Pilzsucher, den wir im Wald zwischen Fischbach und Brunn trafen.
„Profis“ ein Kapitel für sich
Die Beerensucher ficht dies wenig an, weil aber die süßesten Früchte zwar nicht hoch, dafür aber hinter Zäunen gedeihen. Sieht man immer wieder Pflücker, die im Morgengrauen, witternd wie ein scheues Reh, über den Zaun klettern. Sie glauben, etwas Unrechtes zu tun. Dabei könnten sie sich die Angst sparen. Dazu Oberforstmeister Peter Link: „Wir zäunen die Schonung nicht zum Schutz gegen die Menschen, sondern gegen den Wildfraß ein. Wenn die Leute vernünftig sind, können sie jederzeit durch die Gattertore gehen oder über die eigens in den Zaun eingebauten Leitern steigen. Leider aber lassen viele Beerensucher das Tor offen stehen oder sie reißen sogar die Zäune nieder.“ Ein Kapitel für sich sind auch die „Profis“ unter den Beerensuchern, die aus kommerziellen Gründen in den Wald gehen.
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Die Spuren, die sie hinterlassen, erinnern an den Kahlfraß von Heuschreckenschwärmen. Dabei ist in den Wäldern rund um Nürnberg das Sammeln von Beeren mit Hilfe eines Kamms genauso verboten wie im traditionellen Blaubeer- und Preiselbeergebiet, dem Bayerischen Wald. „Aber die Strafen für derartige Vergehen sind halt nur minimal“, stellt Oberforstmeister Link fest.
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