19. Januar 1968: Brücke reif für den Abbruch?

NN

19.1.2018, 07:00 Uhr
19. Januar 1968: Brücke reif für den Abbruch?

© Kammler

Fachleute neigen zu der Ansicht, daß die jetzige Brücke abgetragen werden muß, weil bisher selbst die wichtigsten Sachverständigen-Gutachten eine Ursache für die Schäden nicht nennen können.

Falls es zum Abbruch kommt (und vieles deutet darauf hin), ist ein Aufwand von sechs Millionen Mark nötig, damit eine neue Verbindung in die Gartenstadt und die anschließenden Wohngebiete geschaffen werden kann. Stadt und Bundesbahn müssen sich freilich erst darüber einig werden, wie sie sich die Summe teilen wollen.

19. Januar 1968: Brücke reif für den Abbruch?

© Kammler

Das Provisorium Rangierbahnhofbrücke feierte gestern ein unrühmliches und in der Nachkriegsgeschichte der Nürnberger Bauten einmaliges „Jubiläum“. Die eine Fahrbahn der Konstruktion, die auf 145 Meter Länge die Gleisanlagen überspannt, war seit genau 17 Monaten für den Verkehr gesperrt. Eine Gewichtsbeschränkung für Fahrzeuge bis zu 16 Tonnen, Überholverbot und eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Stundenkilometer machen die Brücke nur noch beschränkt für die hohe Belastung tauglich. Noch aber vermag niemand zu sagen, wann der Verkehr wieder ungehindert über den Rangierbahnhof rollen kann.

„Krankheiten“ schon 1957

Die Fachleute rätseln seit langem schon, wie es dazu kommen konnte, daß von einem Tag auf den anderen Spannbetonteile abbröckelten. Ihre Verwunderung war um so größer, als die Rangierbahnhofbrücke zu den vom technischen Fortschritt geprägten Bauwerken zählte. Bei den Arbeiten in den Jahren 1950/51 war erstmals in Nürnberg das Spannbeton-Verfahren angewendet worden, das als besonders modern galt. Die ganze Konstruktion kostete seinerzeit 757.000 DM, von denen die Bundesbahn 413.000 Mark übernahm.

Schon sechs Jahre nach der feierlichen Einweihung zeigten sich die ersten „Krankheiten“, die damals freilich noch nicht recht ernst genommen wurden. Eine kritische Lage stellte sich erst im August ein, als der abbröckelnde Spannbeton die Spur zum Krankheitsherd wies: zahlreiche Trageisen waren angerostet und hatten am „Bauch“ der Brücke etwa einen Meter lange und 40 Zentimeter breite Risse auf der westlichen Seite, also unter der Fahrbahn Richtung stadtauswärts, hervorgerufen. Auf einmal bestand Einsturzgefahr für ganze Brückenfelder, in die – so rasch es ging – Hilfsstützen aus Stahl eingezogen wurden.

Hinter den Kulissen entbrannte ein heftiger Streit zwischen der Bundesbahn und der Stadt Nürnberg über die Ursache solcher Verfallserscheinungen. Die Nürnberger Behörden stellten sich auf den Standpunkt, daß die permanente Feuchtigkeit und die Rauchgase der Lokomotiven die Trageisen hatten anrosten lassen. Die Bundesbahn wiederum wollte genau erklärt wissen, ob nicht beim Bau Fehler gemacht worden waren, die nun zu Tage traten. Beide Seiten einigten sich darauf, die Technische Hochschule München um ein Gutachten zu bitten – nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt, daß der Schuldige den Schaden beheben, vor allem aber bezahlen muß.

Nächste Woche Entscheidung Als das Untersuchungsergebnis der Sachverständigen im letzten Jahr eintraf, gab es lange Gesichter auf beiden Seiten, denn die Gutachter hatten keinen Schuldigen finden können. Sie bestätigten der Stadt, daß sie nach den gültigen Regeln von 1950 gebaut hatte; der Bundesbahn bescheinigten sie, daß die Wirkung von Abgasen und Ruß auf die Eisenkonstruktion nicht zu unterschätzen sei. Aber: jedermann weiß nun einmal, daß es unter einer Eisenbahnbrücke gelegentlich dampft und qualmt.

Nun hob das Tauziehen um die leidige Frage erneut an, wer für den Schaden aufzukommen hat; es ist bis heute nicht beendet. Der Stadt aber brennt die Zeit unter den Nägeln, denn sie braucht eine leistungsfähige Rangierbahnhofbrücke, wenn nicht eines Tages der Verkehr in die Wohnviertel um den Südfriedhof zusammenbrechen soll. Gerade über jenes, heutzutage altersschwache Bauwerk muß der ganze Fahrzeugstrom fließen, wenn die Minervabrücke umgebaut wird. Dieses Projekt aber steht ganz vorne in der Dringlichkeitsliste, weil unter ihm die Schnellstraße zum langerwarteten Hafen Nürnberg zu liegen kommen wird.

Die nächste Woche soll die Entscheidung über das Schicksal der Rangierbahnhofbrücke bringen. So oder so – es wird höchste Zeit!

Keine Kommentare