2. Januar 1968: Ein kleiner Zirkus im Winter
2.1.2018, 07:00 UhrUnd das war fast ein Zufall: weil der Zirkus im letzten Herbst gerade in der Nürnberger Gegend gastierte, blieb er zum Winter gleich da. Bis auf die drei Könige aus dem Morgenland könnte tatsächlich alles wie damals, vor 1967 Jahren sein: die Tiere, die Krippe, die hier natürlich nur für das Futter da ist, und eine Familie, die nicht mit großen Gütern gesegnet ist. Zirkus-Vater Philipp Frank und seine elfköpfige Familie plus einigen Anverwandten, die den Winter über bei einem anderen und größeren Zirkus keine Bleibe gefunden haben, warten vor den Toren Nürnbergs auf die ersten Sonnenstrahlen, mit denen sie wieder über Land ziehen werden. Doch bis zum März 1968 heißt es für rund zwanzig Zirkusleute und genau 52 Tiere, darunter Pferde, Affen, Kamele, Steinböcke und einen kleinen Elefanten: hoffentlich können wir unsere Verpflegung bis dahin sichern. Denn von den Sommereinnahmen kann Familie Frank nicht leben.
Noch brauchen Menschen und Tiere nicht zu hungern. In den Stallungen eines alten Gutshofes, die Freiherr von Tucher den reisenden Zirkus-Zauberern für wenig Pacht zur Verfügung gestellt hat, können sich die Tiere auch bei größerer Kälte gegenseitig warm halten. Und im Wohnwagentreck auf der großen Wiese sind Kohle und Strom bislang noch nicht ausgegangen. Dennoch gibt Frank freimütig zu: "Es steht keineswegs besonders schlimm für uns, aber wenn uns die Bevölkerung mit Futterspenden ein wenig hilft - wir haben weiß Gott nichts dagegen! Ein kleines Stamm-Publikum im Winterquartier haben wir schon!"
Für jede Hilfe dankbar
Der siebenfache Familienvater, der seine Tiere jeden Tag striegelt und pflegt, läßt durchblicken, daß ihm auch eine kleine Unterstützung von seiten des regionalen Tierschutzvereins keineswegs unlieb wäre: "Wissen Sie, wir wollen ja nicht betteln gehen, solange wir uns selber helfen können!" Die Zirkusfamilie kann sich aber helfen. Mit einem Gemüsebauern aus dem nahen Knoblauchsland wurde Frank rasch tauscheinig: Tiermist gegen Futtermittel, solange der Vorrat reicht. Geschäftsleute, die Frank und seine Truppe vom herbstlichen Gastspiel her kennen und noch gut in Erinnerung haben, halfen zum Weihnachtsfest aus: "Unsere Kinder haben Süßigkeiten und Obst bekommen – das hätten wir uns sonst gar nicht leisten können. Für solche Hilfen sind wir natürlich sehr, sehr dankbar!" Für Weihnachtsbaum und Festbraten war schon ein wenig Bargeld in der Reservekasse.
Doch sonst nimmt die Familie alles selbst in die Hand. Im Oedenberger Schulhaus organisierte Frank das überzählige Pausenbrot, das sonst im Abfalleimer landen würde, für seine Tiere. Die Ponys stehen für kleinere Schüler zu einer Mini-Reitstunde bereit und die Lehrer sind für diese kleine Abwechslung abseits des Pflichtstoffes dankbar. An Sonn- und Feiertagen ist der kleine Reitstall auch am Marienberg für das pp Publikum offen.
Der Chef ist zuversichtlich
Wenn die Tiere ihre tägliche Futter-Versorgung hinter sich haben, geht Frank zusammen mit seinen Söhnen ins Freie – und macht Straßenmusik. Die Romantik, die die Zuhörer dabei an ihre eigene Kindheit erinnert, stellt sich bei den Musikanten freilich nicht ein. Für sie bedeutet der gute Ton der Blasmusik unter freiem Himmel blanke Taler und damit Essen für sie, Futter für die Tiere. Daß Vater Frank die Konzession für diese durchaus nicht immer gern gesehene Freiluft-Unterhaltung bekam, freut ihn natürlich besonders: "Nachdem uns die Münchner als Regierungsstadt einmal erlaubt hatten, mit unserer Musik auf die Straße zu gehen, sah man auch hier keinen Grund, mein Gesuch zu verweigern!" Frank ist auf diese "musikalischen Brötchen" angewiesen.
Nebenbei vergißt der lebhafte Zirkus-Chef auch das Training für die kommende Saison nicht. Seine jungen Familien-Artisten sollen und müssen für künftige Auftritte fit bleiben. Sogar das jüngste Familien-Mitglied (zwei Jahre) wird schon in die akrobatische Mangel genommen. Frank: "Meine Kinder sind mein Kapital!" Im Januar soll dieses Stamm-Kapital sogar noch vergrößert werden, denn Frau Frank erwartet ihr achtes Baby. Frank: "Jetzt hoffen wir auf eine Tochter, denn bisher haben wir nur eine!"
Trotz der Winter-Schwierigkeiten, um die kein Kleinzirkus herumkommt, ist Frank mit seiner Mannschaft zuversichtlich: "Wir haben überall ein so gutes Publikum, wo wir auch spielen, es spricht sich sofort herum. Und wenn wir irgendwo mal eine ganze Woche bleiben, haben wir unsere kleine Manege auch immer voll!" Nicht umsonst achtet Frank darauf, daß sein Programm so anspruchsvoll ist, wie nur irgend möglich: "Jeder Zirkus nimmt für sich den Anspruch, der älteste in Deutschland zu sein. Aber wir können mit alten Konzessionen beweisen, daß wir tatsächlich zu den drei ältesten gehören!" Müssen Frank und Familie auch zuweilen von der Hand in den Mund leben, solange es geht, werden sie auf der Achse bleiben: "Wer im Wohnwagen geboren ist, will keinen festen Boden unter den Füßen mehr..."
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