20. November 1970: Schüler protestieren gegen Bildungspolitik
20.11.2020, 07:12 UhrMit einem Lautsprecherwagen, Transparenten, Sprachrohren und rhythmischen Rufen forderten sie die Nürnberger auf, die Politik der CSU und vor allem ihres Kultusministers zu beenden. Vom Willstätter-Gymnasium bewegte sich der Zug trotz anhaltenden Regens durch die Innenstadt zum Kornmarkt, wo er in einer Kundgebung endete.
Auch der Regen, der die Beschriftung etlicher Transparente verwischte und die Schüler gehörig einweichte, vermochte den Protest nicht zu dämpfen. Als sich der Zug auf dem Bahnhofsplatz am Grand-Hotel vorbeibewegte, dröhnte es immer wieder hundertstimmig auf: „Huber heißt er, uns bescheißt er.“ Die Folgerung daraus wurde per Lautsprecherwagen in die Königstraße hinausgeschmettert: „13 Jahre CSU-Politik sind genug!“
Später dann, bei der Kundgebung auf dem Kornmarkt, wurde deutlich, daß der Schulprotest auch politisch eingefärbt war. Der Redner, ein Sprecher der Studentenvertretung der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät, begann: „Liebe Freunde, liebe Genossen . . .“
Diskussion bei Tee und Bier
Und dann erläuterte er den erstaunten Schülern und den eher unbehaglich als interessiert zuhörenden Erwachsenen, daß eine Verbesserung des Bildungssystems nicht ausreiche: eine Umwandlung der Gesellschaft sei vonnöten, der Sozialismus müsse kommen.
Reine Schulprobleme wurden erst wieder im Mautkeller laut. Dorthin hatten sich die Vertreter der Gymnasien und der sieben Fachoberschulen zurückgezogen und diskutierten bei Cola, Tee, Bier, Pommes frites aus der Tüte die weiteren Schritte. In einem herrschte Eintracht vor: der Schülerprotest soll sich mit dem Demonstrationszug nicht erschöpft haben. Nach einer längeren Besprechung kam doch ein gemeinsames Vorgehen zustande.
So werden heute vormittag die Oberklassen des Dürer-, Melanchthon- und Willstätter-Gymnasiums in den Streik treten. Der wird vor allem aus Diskussionen mit Lehrern bestehen. Das Hans-Sachs-Gymnasium wird sich nicht anschließen, doch ist für 11.15 Uhr eine Protestkundgebung in der Turnhalle geplant. Im Caritas-Pirckheimer-Haus werden Vertreter der Fachoberschulen über die weiteren Schritte beraten und dann zu den Mitstudenten in der Berufsschule 3 marschieren. Alle Aktionen werden von einer Kommandostelle aus geleitet. Wie ein Kenner der Lage erklärte, könnte es im Sigena-Gymnasium zu „wilden“ Streiks kommen, obwohl sich die Schülerinnen in einer Urabstimmung gegen einen Streik ausgesprochen hatten.
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