20. September 1970: Dr. Hamm-Brücher unterwegs

20.9.2020, 08:18 Uhr
Mit dem Fahrrad in den Wahlkampf gestartet: an der Spitze der FDP-Kolonne kurvt Dr. Hildegard Hamm-Brücher durch Nürnberg, um ihren Wahlkreis kennenzulernen.

© VNP Mit dem Fahrrad in den Wahlkampf gestartet: an der Spitze der FDP-Kolonne kurvt Dr. Hildegard Hamm-Brücher durch Nürnberg, um ihren Wahlkreis kennenzulernen.

"Nun kommt schon! Achtung, fertig, los!" Auf dieses Kommando startete eine gemischte Radfahrergruppe am Heim der Jungdemokraten an der Spittlertormauer, allen voran eine Dame im dezent-gelben Kostüm. Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP), Staatssekretärin für Bildung und Wissenschaft, wollte auf des Stahlesels Rücken Nürnberg erforschen und sich für die Landtagswahl am 22. November in ihrem Kreis Nürnberg-Ost vorstellen.

"Wie ich auf diese verrückte Idee gekommen bin? Ich fahre leidenschaftlich gern Zweirad. Und dann, im Auto seh ich doch nichts von der hübschen Stadt und kann nicht mit den Leuten reden. Zu Fuß – puhh! Wir haben rund zehn Kilometer vor uns." Schon am Plärrer wurden die Autofahrer durch die kreuz und quer sich einordnenden zehn Ausflügler durcheinandergebracht.

Verdutzt waren auch viele Hausfrauen, die Dr. Hamm-Brücher besonders ansprach, wenn sie plötzlich neben ihnen bremste. Doch dann schüttelten sie leutselig die dargebotene Hand. "Wir kennen Sie doch so gut vom Fernsehen." – "Das ist recht, daß Sie sich auch einmal persönlich bei uns sehen lassen." "Schau amal, die da!": Ein paar Schulkinder deuteten ungeniert mit dem Finger. "Die haben aber ein tolles altes Tandem dabei!" "Du, Tante, darf ich dir helfen Bilder austeilen?" Der kleine Junge erhielt einen Stoß Flugblätter und zog selig davon.

Ein alter Mann freute sich, als er eine Karte mit Autogramm in der Hand hielt: "So ein schönes Bild." Ein anderer, der die Situation nicht so schnell erfaßt hatte: "Grüßen Sie auch Frau Hamm-Brücher von mir, die ist schon in Ordnung." Unterwegs gab es wenig negative Stimmen. Ein Zeitungsverkäufer schüttelte energisch den Kopf. ”Na, die wähl‘ i net. Die FDP ist ja das gleiche wie die NPD." Mürrisch war auch ein Obsthändler. "Ihr verstaatlicht mir auch noch meine Äpfel, wenn ihr net mit den Steuern auskommt!"

Vom östlichen Stadtgebiet strampelte die Gesellschaft zur Meistersingerhalle, dann über die Peterskirche mit wildem Geklingel zurück zur Stadtmitte. Zwei Ampeln wurden bei "Dunkelgelb" überfahren und einige Autofahrer auf der Kreuzung in Gefahr gebracht. Kurz vor dem Bahnhof behinderte die prominente Dame einen Bus, als sie einem Personenauto einen Gruß unter den Scheibenwischer schob. Doch der Fahrer wurde durch ein Autogramm schnell besänftigt.

Im Hauptbahnhof, wo ein Brezenmann eine Riesenbrezel als Andenken überreichte, und in der Pfannenschmiedsgasse fanden dann angeregte Diskussionen statt. Hier nahm die Politikerin, meist von Jugendlichen mit Fragen bedrängt, zu ihren bildungspolitischen Ideen Stellung: kleinere Klassen, mehr Ganztagsschulen, intensive Lehrerwerbung, bessre Lehrlingsausbildung. Leider war die Zeit zu knapp, um wirklich in die Tiefe zu gehen. Das lebhafte Interesse aber hat Dr. Hildegard Hamm-Brücher ermutigt, ähnliche Touren auch in anderen Städten zu unternehmen. vorausgesetzt "der Winter bricht nicht zu bald über uns herein!"

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