21. Mai 1968: Verlierer zur Kasse
21.5.2018, 07:59 UhrSie wollen plötzlich nicht mehr wissen, daß sie noch vor wenigen Wochen am Erfolg der Mannen um Kapitän Hleinz Strehl gezweifelt haben und bereit waren, jede Wette gegen die Optimisten zu halten, die dem Club die neunte deutsche Meisterschaft zutrauten. Jetzt werden sie an ihren Wankelmut erinnert und müssen blechen: Bier, Sekt und schärfere Sachen fließen auf Kosten der Verlierer, die obendrein für den Spott nicht zu sorgen brauchen.
In Wirtshäusern, Amtsstuben, Betrieben und daheim – nicht nur in Nürnberg, sondern auch in der Umgebung – werden die Wetten eingelöst und die Fässer angezapft.
Seltsamerweise hat sich die Rathaus-Prominenz an dem "Wetten, daß der Club nicht deutscher Meister wird?" nicht beteiligt. Im Stile eines gewandten Kommunalpolitikers begründet Oberbürgermeister Dr. Andreas Urschlechter, warum er leer ausging: "Hätte ich gewettet, so hätte ich sehr frühzeitig auf den Club gesetzt. Aber da hätte ich doch gar keinen Partner gefunden: ganz Nürnberg hat dem Club die Daumen gehalten und die neunte Meisterschaft herbeigesehnt. Kaum jemand hätte sich dazu hergegeben, gegen den Club zu setzen."
Nicht weniger Honig schmiert der CSU-Fraktionsvorsitzende Dr. Oscar Schneider dem Club um den Bart. "Ich habe keine förmliche Wette abgeschlossen, aber ich habe den Zweiflern immer wieder gesagt: ‚Abwarten und dem Club vertrauen‘. Im übrigen würde der Club meine Sympathien auch dann behalten, wenn er nicht Meister geworden wäre."
Sein Parteifreund, Minister a. D. Richard Stücklen, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe in Bonn und begeisterter Club-Anhänger, stößt ins gleiche Horn. In einer Sitzungspause verkündete er telefonisch aus München: "Ich habe nicht gewettet, aber ich habe schon vor der Saison mit meiner Tochter getippt. Raten Sie einmal, wen ich auf den ersten Platz gesetzt habe: den Club vor Bayern München und Mönchengladbach."
"Gelesen und genehmigt"
Im Gegensatz zu den Nürnberger Prominenten, die keinen Wettpartner fanden –auch Polizeipräsident Dr. Horst Herold gehört zu ihnen – werden in diesen Tagen anderswo die Gläser aufs Wohl der Mannschaft und ihres Trainers Max Merkel gehoben. Bürgermeister Albrecht Frister (Schwarzenbruck) will es im Juni bei "Hammel am Spieß" tun. Bei dieser Gelegenheit sollen seine Wettgewinne – knapp ein Hektoliter Bier – verbraucht werden.
Am meisten freut sich das Gemeindeoberhaupt auf das 30-Liter-Faß, das er nach dem mit 2:3 Toren verlorenen Heimspiel gegen Schalke 04 mit dem in Schwarzenbruck beheimateten ARD-Fernsehkoordinator Dr. Richard Dill vereinbarte, wobei allerdings zur Ehrenrettung des Verlierers gesagt werden muß, daß der Club stets wenig zeigte, wenn er im Stadion saß.
Selbst die Redaktion der NN ist vorn Wettfieber nicht verschont geblieben. Gestern rollte ein Fäßchen voll edlen Gerstensaftes an, geschmückt mit einem Schild: "Kaiserslautern gratuliert dem neunfachen Deutschen Meister!" Ein Fußballfreund unter den Redakteuren, der die "roten Teufel" vom Betzenberg unter den ersten Sechs und den Club nicht als Meister gesehen hatte, zollte seinen Tribut.
Girlanden aus Bratwürsten?
So haben schließlich alle etwas von der Meisterschaft der Profi-Kicker, auch die, die abseits von den großen Empfängen und Ehrungen stehen, die auf die Clubmannschaft verdientermaßen warten. Die vielen Versprechungen sind dabei noch nicht einmal mitgerechnet. Freilich darf man manche Nachricht nicht auf die Goldwaage legen. Denn jener Katzwanger Metzgermeister namens Volkert, dem nachgesagt wurde, er wolle Girlanden aus Bratwürsten dem Deutschen Meister über die Straße flechten, dementierte gestern energisch: "Das ist ja gar nicht wahr. Ich möchte bloß wissen, wer diese Meldung verbreitet hat."
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