21. November 1969: Kirchen packten „heiße Eisen“ an

K. N./S. R.

21.11.2019, 07:00 Uhr
21. November 1969: Kirchen packten „heiße Eisen“ an

© Ulrich

Beide großen Konfessionen begaben sich gewissermaßen auf die Anklagebank, und zwar beim Ökumenischen Gottesdienst in der Lorenzkirche. Das Thema: die Mischehe. Der evangelische Dekan und Kirchenrat Fritz Kelber sagte dazu: „Die Kirche hat Buße zu tun im Angesicht der Not der konfessionsverschiedenen Ehen.“

Ihm pflichtete der katholische Dekan Prälat Paul Holzmann bei: „Was haben wir getan, daß sich die Kirchen so in ihren Positionen verhärtet haben?“ Er sprach von der harten Dissonanz zwischen dem Wort Gottes von der „einen Liebe“ und den unterschiedlichen Rechtsordnungen der Kirchen. Evangelische und katholische Christen beteten anschließend gemeinsam: „Laßt uns toleranter werden.“

Auch der „Bußgottesdienst im Angesicht des Welthungers“ im Heilig-Geist-Saal versuchte, die Gläubigen aufzurütteln. Wenn sich die einen mit Entfettungskuren beschäftigen und andere verhungern müssen, dann sei mit unserem täglichen Brot etwas nicht in Ordnung, hieß es. Die Stirnseite des Saales schmückte ein Transparent mit den Worten: „Heute sterben wahrscheinlich wieder 10.000 Kinder an Hunger.“ Der Gottesdienst stand unter dem Motto „Unser täglich Brot vergib uns heute.“

Mit dem seltsamen Fall eines jungen Mannes, der seinen Freispruch ablehnte, beschäftigte sich der Jugendgottesdienst unter dem Motto „Entschuldige“ im großen Saal der Meistersingerhalle. Der Arbeitskreis der evangelischen Jugend wandte neue Stilmittel an, um das Gleichnis vom verlorenen Sohn auf die heutige Zeit zu übertragen. Er bediente sich mit einem Tribunal der szenischen Darstellung: „In jedem von uns gibt es eine Art Gerichtshof.“ Der verlorene Sohn will sich nicht freisprechen lassen, denn er kann seine persönliche Schuld nicht überwinden. Pfarrer Georg Kugler widmete sich diesem Problem in seiner Predigt: „Der liebe Gott für artige Kinder, bei dem man immer bezahlen muß, wenn man etwas bekommen will.“

Wie schon in den Jahren zuvor besuchten diesen ungewöhnlichen Gottesdienst wieder etwa 2.000 Jugendliche. Die Veranstalter legten jedoch großen Wert darauf, daß die christliche Verkündigung nicht durch die attraktive Aufmachung mit Soul-Rhythmen und Spirituals überspielt wurde.

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