26. April 1971: Einmalig: Chor der Gefangenen
26.4.2021, 07:00 UhrZum erstenmal in der Justizgeschichte Nürnbergs durften Strafgefangene außerhalb der Gefängnismauern in einer Kirche auftreten. 15 Häftlinge, gekleidet in hellgraue sommerleichte Freizeitanzüge und weiße Hemden, sangen die Deutsche Messe von Schubert.
Dieses Gastspiel war für Verwalter Heinrich Lehner von der Strafvollzugsanstalt ein „Beitrag zur Resozialisierung“. Der Gefängnisgeistliche Oberpfarrer Gerhard Schlich sagte es in seiner Predigt deutlicher: „Ich hoffe, daß dies der Beginn eines neuen Verständnisses ist. Ohne die Mithilfe der Christen wird es den Gefangenen nicht möglich sein, nach ihrer Entlassung ein neues Leben zu beginnen.“
Und frei von der Leber weg äußerte sich einer der Häftlinge vor dem Gottesdienst: es sei ihm nicht darum gegangen, einmal für wenige Stunden in Freiheit zu sein. „Wir müssen Kontakt zu den Menschen draußen finden. Sie dürfen nicht denken, daß wir wie Tiere hinter Gittern leben.“
Ursprünglich war der Chor nur gegründet worden, um die Weihnachtsfeier 1970 vorzubereiten. Doch die Singstunden – zweimal in der Woche – wurden für einige Häftlinge bald unentbehrlich. Sie führten sie aus ihren einigen Zellen und gestatteten ihnen ein klein wenig Geselligkeit. Daß der Chor aber hart an sich gearbeitet hat, um die Deutsche Messe von Schubert zu singen, das verriet der tiefe Eindruck, den die Gefangenen bei der Eltersdorfer Gemeinde hinterlassen haben.
Und dies ist erstaunlich genug. Denn die Strafgefangenen haben zum größten Teil früher nie im Chor gesungen und können keine Noten lesen. Dafür aber haben sie einen hervorragenden Chorleiter und Mozart-Tenor, der aus einem der berühmtesten Knabenchöre deutscher Sprache hervorgegangen ist. Alles, was der damalige Sängerknabe vor 15 Jahren in sakraler Musik gelernt hatte, brachte er nun seinen Mitgefangenen bei. Hinzu kam, daß der Gefangenenchor von allen Beamten der Strafvollzugsanstalt unterstützt wurde.
Gestern saß unauffällig unter den Kirchenbesuchern auch Anstaltsleiter Oberregierungsdirektor Groß. Er durfte zufrieden sein, denn das Experiment war erfolgreich. Nach dem Gottesdienst lud Pfarrer Wegener den Chor zu einem Imbiß ein. Die Sänger sogen erst einmal kräftig an den Zigaretten, um die aufgestaute Spannung nach der Premiere zu verlieren
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