27. April 1968: Alt-Nürnberg liegt auf ihrer Tasche
27.4.2018, 07:00 UhrSie öffneten auch den Blick der Passanten am Maxplatz auf ein wenig bekanntes Stück Alt-Nürnberg. Ein vom Bombenkrieg teilweise verschontes, mit Holzgalerien versehenes Hinterhaus stand plötzlich in trauriger Gestalt als offensichtlich rettungslos dahinsiechendes Denkmal aus vergangenen Patrizierzeiten vor aller Augen. Die Eigentümerin kann sich die kostspielige Instandsetzung des verwitternden Säulengangs nicht leisten.
Sie darf aber vorläufig auch nicht auf die nötigen Zuschüsse der Stadt und des Landesamtes für Denkmalspflege hoffen. Was soll nun aus dem alten Hof werden? Er ist nicht der einzige, der im Schatten von St. Sebald teilweise erhalten blieb. Dort wohnen noch mehr Bürger der Stadt, die als Hausbesitzer unfreiwillig Treuhänder städtischer Geschichte wurden. Ihr kostbares Eigentum wird von Historikern beschrieben und von Denkmalspflegern gehütet, aber es hängt ihnen wie ein Klotz am Bein, der ihre kommerzielle Bewegungsfreiheit hemmt. Wir haben uns mit einigen Eigentümern von solchen Hinterhöfen unterhalten.
ALBRECHT-DÜRER-STRASSE 11. An der Sandsteinfassade ein Firmenschild: Druckerei Rottner & Keller. Den Besitzer des Familienbetriebs, Horst Hertel, hat unser Bericht vom 15. März veranlaßt, uns in sein Anwesen einzuladen. Er will uns zeigen, was ihm sein Vatererbe wert ist. Aus der düsteren Eingangshalle mit dem massiven Treppenhaus führt der Weg in den blitzsauberen Hinterhof.
Nachdem er den zerstörten Wohnraum wieder aufgebaut hatte, ging Horst Hertel daran, die beschädigten Balkone renovieren zu lassen. Mit Zustimmung des Amtes für Denkmalspflege riß er eine im vergangenen Jahrhundert angeflickte Waschküche ein und gab dem Anwesen an der Nord- und Ostseite sein ursprüngliches Aussehen wieder.
Dem Zimmermeister Haberkern aus Ellingen, der sich zum Glück noch auf das Drechseln der hölzernen Balkonsäulen verstand, zahlte er allein 5.600 DM. Horst Hertel schätzt die Ausgaben, die er in den historischen Teil seines Anwesens investierte, auf rund 25.000 DM. Als Zuschuß der öffentlichen Hand konnte er davon allerdings nur 3000 DM abtragen. „Ich hätte mir einen Druckautomaten für das Geld kaufen können“, gesteht der Geschäftsmann, „aber ich hänge an dem Haus und will es erhalten“.
WEINMARKT 6. Als Praunsches Haus wird das Gebäude wegen seines Maßwerk-Treppenhauses aus tiefschwarzem Holz in allen Führern durch Nürnberg genannt. Drogerie- und Hausbesitzer Josef Kubec rechnet nicht nur mit historischen Werten, sondern auch mit Einnahmen in Deutscher Mark. Seit 1944 ist er dabei, das Nötigste zu flicken. Obwohl das Treppenhaus zum größten Teil erhalten blieb, plagen ihn die Sorgen.
Sein Vermögen bringt ihm keinen Zins, denn der nackte Unterhalt schluckt den vollen Mietertrag. Kubec fühlt sich als Sklave seines Besitzes, über den er nicht einmal allein verfügen kann. Er ist alleinstehend und sucht Kaufinteressenten, aber alle Bewerber schrecken zurück, wenn sie hören, daß sie nichts ändern dürfen und der Stadt 70.000 DM für zehn Einstellplätze zahlen sollen. Sogar das nicht mehr vermietbare Hinterhaus darf aus denkmalspflegerischen Gründen nicht abgerissen werden. „Und jetzt wurde sogar noch der Einheitswert erhöht, was höhere Steuern bedeutet“, klagt der Besitzer eines Schatzes, der ihm nur Sorgen bereitet.
Josef Kubec schätzt, daß ihm etwa 20 v. H. der Ausgaben für den Erhalt seines Hauses von der Stadt ersetzt wurden. 80 v. H. der Kosten hat er aus eigener Tasche getragen. „Wofür? Ich bin alt und habe niemand“, sagt er resignierend. WINKLERSTRASSE 13. Hinter der schmalen Fassade mit dem Laden eines Reinigungsunternehmens verbirgt sich ein Kleinod, das nur wenige Nürnberger kennen. Die Besitzer dieses Anwesens, die Geschwister Meyer, betrieben dort bis vor wenigen Jahren eine Bäckerei. Fritz Meyer und seine Schwester Betty erinnern sich der großen Opfer, die sie für den Wiederaufbau ihres zum großen Teil zerstörten Hauses bringen mußten. Der unerbittliche Kampf ums Dasein bestimmte die Reihenfolge des Neubeginns.
Zuerst mußten Backstube und Laden samt den eigenen Wohnräumen hergerichtet werden. Dann machen sich Zimmerleute an die Wiederherstellung einer zerschossenen Wendeltreppe mit 60 Stufen, die in einem Turm im Hof liegt und zu den Wohnungen des Hinterhauses führt. Der prachtvolle, geschwungene Aufgang mit seiner imposanten baumstarken Spindel steht unter Denkmalschutz. Die Renovierung kostete 8.000 DM, der Zuschuß der Stadt machte genau den zehnten Teil aus. „Dabei haben wir das ganze Treppenhaus selbst gestrichen“, erinnert sich Betty Meyer.
LAMMSGASSE 12. Hier sind die traurigen Reste einer Säulengalerie wohl rettungslos dem Verfall preisgegeben. Unzählige Tauben nisten unter dem Notdach und beschmutzen die zum größten Teil zerstörten Fassade. Der frühere Besitzer, der ebenfalls ohne Nachkommen ist, hat vor einigen Jahren das Vorderhaus samt Wäschereibetrieb an einen jungen Fachmann verkauft, der sich erst einmal seine Existenz aufbauen muß, bevor er an eine Renovierung des Säulenaufgangs denken kann.
Reich ausstaffierte Höfe
GEIERSBERG 4-6. Hier hat der Krieg das südliche Gebäude eines rechtwinklig angelegten Kaufmannshofes mit einem Säulenumgang übriggelassen. Die Balustrade ist vorbildlich erneuert worden. Die einst im Erdgeschoß untergebrachte Lebensmittel-Großhandelsfirma ist vor einigen Jahren erloschen. Was aus dem stattlichen Anwesen werden soll, bleibt vorläufig ungewiß. Früher diente es den Deutschherren als „Hotel zum Schwarzen Kreuz“.
Den Wert und die Bedeutung der genannten Anwesen schildert Stadthistoriker Dr. Wilhelm Schwemmer. Charakteristisch für sie ist, daß sie außen einfach sind, aber über reich ausstaffierte Höfe verfügen. Hier lagen die Wirtschafts- und Vorratsräume, sowie die Kammern des Gesindes. Den wohlhabenden Patriziern dienten für ihre Innenhöfe gotische Maßwerk-Galerien des 15. Jahrhunderts als Vorbilder. Sie ließen derartige Umgänge im 16. und 17. Jahrhundert aus Holz nachbilden. Später wurden Baluster-Galerien modern. Mit diesen Daten ist das Alter der vorgestellten Überbleibsel umrissen.
Noch wäre viel zu retten
Baudirektor Harald Clauß, der im Hochbauamt für Denkmalspflege zuständig ist, betrachtet nicht nur den historischen Wert der Häuser. Er kennt auch alle Besitzer und weiß um ihre Sorgen wie kein Zweiter Bescheid. Er kann ermessen, welche Opfer sie bringen müssen. Doch seine finanziellen Hilfsmittel sind minimal. Nur 70.000 DM sind pro Jahr im Haushalt der Stadt für den Erhalt privater Baudenkmäler bereitgestellt. Zu diesen Gebäuden zählen aber auch die Kirchen.
Hilfe vom Landesamt für Denkmalspflege können die Eigentümer kaum erwarten, denn diese Behörde streut ihre Mittel nicht, sondern konzentriert sich auf 20 bis 30 Projekte im Jahr. Die dritte Quelle, der Etat des Bezirks, ist leider auch meist ausgetrocknet.
So bleibt nur noch die Hoffnung auf das Dürer-Jahr 1971. Bei den Vorbereitungen für dieses Fest müßte, so meinen die Treuhänder reichsstädtischer Pracht, auch an die baulichen Überreste Alt-Nürnbergs gedacht werden. Die Denkmäler jahrhundertealten Bürgerfleißes sind zum größten Teil zerstört. Um die wenigen Beispiele den Gästen des Dürer-Jahres zeigen zu können, sollte die gesamte Bürgerschaft die persönlichen Opfer der Besitzer mittragen. Mit nicht allzu erheblichen Mitteln wäre jetzt noch viel zu retten.
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