27. Januar 1968: Der Ball des Jahres

NN

27.1.2018, 07:00 Uhr
27. Januar 1968: Der Ball des Jahres

© Ulrich

Minister und Manager, Professoren und Politiker, Konsuln und Künstler machten einmal mehr das Parkett in Nürnbergs teuerstem Musentempel zum Treffpunkt mit der vielgeschmähten, selten gelobten, aber immer gefragten Presse. Beim Ball der Bälle dürfen sich die Journalisten - wenigstens Smoking an Smoking - ungestraft mit den Spitzen der Gesellschaft reiben und umgekehrt.

Es ist keine Prahlerei: das Pressefest übertrumpft jedes andere Prominenten-Stelldichein. Ein Jahr lang schon sind die ersten Karten bestellt, seit Wochen die letzten Billets vergeben. "Sehen wir uns...", galt tagelang als geflügeltes Wort beim Abschiedsgruß unter Bekannten, die zur High-Society in Nürnberg und den nordbayerischen Landstrichen zählen. Und sie sahen sich.

27. Januar 1968: Der Ball des Jahres

© Ulrich

Die Straßen glichen Spiegeln, aber der Weg war bereitet. Das städtische Reinigungs- und Fuhramt ließ sich nicht lumpen und machte eilends die Auffahrtsrampe schnee- und eisfrei, auf daß die hohen Herrschaften einigermaßen trockenen und ungebrochenen Fußes dem Vergnügen entgegengehen konnten. Das Wetter machte diesmal sogar alle Ballbesucher zunächst gleich, denn die Straßenkreuzer vom Mercedes 600 bis zum Volkswagen konnten statt vorfahren nur anschleichen.

Die Nürnberger Symphoniker mußten das Programm gleich mit einer Pause beginnen, weil selbst Minister mit Spikes und Polizeigeleit auf sich warten ließen. Erlangens Oberbürgermeister Dr. Heinrich Lades konnte dem Nürnberger Stadtoberhaupt und Schirmherrn um einige Minuten den Rang ablaufen

Aber Verspätung hin, Verspätung her: die Prominenz war vereint, als die "Fledermaus"-Ouvertüre den Saal erfüllte. Mitfühlend gedachten dabei einige des bayerischen Finanzminister Dr. Konrad Pöhner, der als Vertreter des Ministerpräsidenten mit gegipstem Bein zu später Abendstunde noch herbeieilen wollte.

Mit dem herzlichen Wunsch "Viel Vergnügen" entbot Verleger Otto Spandel die Grüße der Veranstalter, des bayerischen Journalistenverbandes, des Verbandes bayerischer Zeitungsverleger und des Landesverbandes bayerischer Zeitschriftenverleger.

Die Nürnberger Symphoniker mit Fritz Mareczec am Pult (der Nürnberger Dirigent Edgar Schmid-Bredow war bei einer Bühnenprobe von einem Beleuchtungskörper am Kopf getroffen worden) ließen Gold und Silber in Tönen auf die Gesellschaft niederregnen und Kammersängerin Sonja Schöner huldigte der Männerwelt mit "Mein Herr Marquis".

Gold und Silber konnten die Gäste wohl gebrauchen, denn bei den ersten Tänzen schon erinnerte die Temperatur auf dem Parkett an ein Dampfbad. Ein kühler Trunk tat gut, die rote Karte der Meistersingerhalle machte die Wahl zur Qual. Von der "Gimmeldinger Meerspinne" für 13,50 DM einschließlich Service und Getränkesteuer bis zum Moet & Chandon Brut für 57,70 DM inclusive gab es alles, was die Kehle begehrte. Tausende von Flaschen lagen bereit. Lachs und Hummer zierten das kalte Büffet, das eine Stunde nach Beginn schon zum zweiten Mal gefüllt werden mußte, und 1400 Paar Weißwürste schlummerten in den Bottichen im Bierstübel. Ein Heer von 50 Kellnern lag auf der Lauer, dem Publikum jeden Wunsch gegen Bargeld von den Augen abzulesen.

Bunt und reichhaltig wie die Teller und Kelche erwies sich das Programm. Es spannte einen weiten Bogen von den vornehm-befrackten Musikern bis zur delikat sparsam bekleideten Tänzerin Amor Solares, vom festlichen Operettenreigen bis zum furiosen Trommelwirbel. Während im Saal noch steife Frackbrüste beim Walzer wogten, hüpften im Foyer bereits die Dekolletés im Beatrhythmus.

Nach einer schwachen Stunde Anlaufzeit läutete ein Sektkorken, der vom Saal bis an die Rangbrüstung hüpfte, die ersten Höhepunkte ein. Hazy Osterwald und seine Solisten zogen eine Schau ab, ehe sie zu ihrer eigentlichen Schau "Reise rund um die Welt" kamen. "Ich nehme an, daß einige Herren dem Herzinfarkt nahe sind", witzelte Conférencier Günter Keil aus Berlin, der wohl auch Nürnbergs Oberbürgermeister als eifrigen Tänzer und nicht minder fleißigen Schweißabwischer im Auge hatte.

Das Beste war gerade gut genug auf den Tischen und auf den Bühnen. Ob Judita aus Prag, ein neuer Stern am Schlagerhimmel, oder Chris Howland, ein alter Bekannter vom Fernsehen, ob Show-Kapelle Ed Sperber oder Bayerns beste Beatband, die Improved Sound Limited – die Gäste kamen auf ihre Kosten. Wer nicht 65 Mark ausgeben wollte, um dabei zu sein, konnte für zwei Mark Gebühren im Monat um Mitternacht am Rundfunklautsprecher lauschen. Alle vergnügten sich bis in die frühen Morgenstunden so sehr, daß sie kaum noch Anstoß an der Mehrwertsteuer nahmen. Jeder Ball hat ein Ende, aber das nächste Pressefest kommt bestimmt...

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