28. Februar 1971: Beleidigung keine Absicht
28.2.2021, 07:00 UhrDeschner gab nach einstündiger Verhandlung und fast ebenso langer Beratung mit seinen Anwälten folgende Erklärung ab: "Bei meinem Vortrag in der Meistersingerhalle am 9.11.1969 lag es mir fern, irgendeinen Zuhörer zu beleidigen oder zu beschimpfen. Soweit die in der Anklage formulierten Sätze als diskriminierend empfunden werden konnten, werden sie von mir nicht aufrechterhalten."
Die Verteidiger beantragten daraufhin, das Verfahren wegen geringer Schuld einzustellen. Oberstaatsanwalt Dr. Ludwig Prandl stimmte im Prinzip zu, erklärte jedoch, im vorliegenden Fall handle es sich um eine sogenannte Berichtssache, die über den Generalstaatsanwalt dem bayerischen Justizministerium vorgetragen werden müsse. Beim Ministerium liege es, ob das Verfahren durch schriftliches Einverständnis endgültig eingestellt werden kann. Amtsgerichtsrat Hubert Veith setzte den Prozeß deshalb zunächst einmal aus.
Die entscheidende Frage, die gestern im Deschner-Prozeß unbeantwortet blieb: Wo endet die Wissenschaft und wo beginnt die Beschimpfung? Beweisantrag der Verteidiger wurde abgelehnt – Es ging um den Wortlaut eines Paragraphen – Ein hartes Ringen wurde durch eine Erklärung des Angeklagten vorzeitig beendet – Man tastete sich nur gegenseitig sehr höflich ab
Das Verfahren hatte mit einem Beweisantrag der Verteidigung begonnen. Rechtsanwalt Wolfgang Benno Vetter wollte durch den Gutachter Dr. Hans Kühner-Wolfskehl aus Zürich feststellen lassen, daß Deschners inkriminierende Behauptungen das Ergebnis wissenschaftlich-historischer Untersuchungen seien, die der kritischen Aufklärung der Zuhörer dienen sollten und trotz ihrer Schärfe im Ausdruck die Basis der Sachlichkeit nicht verlassen haben.
Der Gutachter sollte weiter bestätigen, daß Deschners Formulierungen einer radikalen Ehrlichkeit entsprachen, von einer rigorosen moralischen Grundhaltung geprägt waren und den sittlichen Ernst des Autors nicht in Frage stellen. Ferner sollte der Sachverständige als Zeuge darüber aussagen, daß er sich als praktizierender Katholik durch Deschners Angriffe nicht beschimpft fühle.
Der Antrag wurde abgelehnt, weil Gegenstand der Anklage nur bestimmte Äußerungen während eines Vortrags und damit Rechtsfragen seien, die durch einen Gutachter nicht aufgehellt werden können.
Nach der Vernehmung zur Person und zu seinen Einkommensverhältnissen ("ein Schriftsteller verdient heute durchschnittlich 600 DM, weniger als ein Arbeiter") gab Dr. Deschner die ihm zur Last gelegten Äußerungen im wesentlichen inhaltlich zu.
Allerdings seien einzelne Ausdrücke, wie "Kadaver" oder "krepieren". in ihrer Beziehung auf Kirche und Christentum aus dem Zusammenhang gerissen worden. "Ich bin als Philologe gewöhnt, kritisch und exakt zu zitieren". monierte Deschner. Zum Vorwurf, er habe das Christentum eine Pest genannt, berief er sich auf Päpste und auf Luther, die den gleichen Ausdruck gefunden hätten.
Mit philologischer Genauigkeit interpretierte der Autor vieler Bücher dann den Wortsinn von "Kadaver" und "krepieren" aus Wörterbüchern und Lexika. Bei dieser Gelegenheit wurde einmal kurz beleuchtet, wie hart der Schlagabtausch hätte werden können, wenn der Prozeß nicht die unvorhergesehene Wende genommen hätte.
"Krepieren ist gleich verenden, das haben Sie vorgetragen, ein Tier verendet, ein Mensch stirbt", warf der Oberstaatsanwalt ein. "Durch das Christentum sind Tausende von Menschen krepiert, schlimmer als in unseren heutigen Schlachthäusern", konterte Deschner.
Ansonsten gab man sich aber ausgesprochen höflich, sachlich, zuvorkommend, im akademischen Stil distanziert gemessen. Es kam zu Dialogen wie: "Wenn Sie mir bitte freundlicherweise sagen würden, wo das steht, Herr Oberstaatsanwalt." "Auf Seite 14, Herr Doktor Deschner."
Schließlich gipfelte das im Ansatz steckengebliebene Verfahren in Äußerungen Deschners, wie: "Was ich sage und schreibe, dient dazu, den öffentlichen Frieden zu erhalten. Nach meiner Meinung ist kein intolerantes Wort gefallen. Ich hin ziemlich sicher, daß ich nicht einmal zum Kirchenaustritt aufgefordert habe. Ich habe nie daran gedacht, einen zu beleidigen oder zu beschimpfen.
In meinen Augen ist es eine wissenschaftliche Frage, um die es hier geht." Die Entscheidung, ob rechtliches oder wissenschaftliches Problem, war aber schon mit der Ablehnung des Beweisantrags der Verteidigung. gefallen. "Hier geht es um den § 166 des Strafgesetzbuchs, und nicht um kirchenhistorische Studien", bestätigte der Richter noch einmal. Nach fast einstündiger Bedenkzeit unterschrieb Deschner die zwei Sätze, die den Prozeß vorläufig beendeten.
Die Interpretation dieses Entschlusses war verschieden: "Eine Ehrenerklärung genügt", befand der Staatsanwalt. "Ich habe jetzt kein Interesse mehr daran, daß Dr. Deschner bestraft wird", versicherte Anzeigeerstatter Heinz Hahn. "Eine subjektiv erläuternde Erklärung, die an der sachlichen Interpretation nichts ändert. Wir haben Dr. Deschner seiner angegriffenen Gesundheit wegen zu seinem Schritt ermuntert, weil es doch nur endlos um die Streitfrage wissenschaftlicher Erkenntnis oder Beschimpfung nach § 166 gegangen wäre", erklärten die Anwälte.
Ein Kompromiß
Die Bilanz des Deschner-Prozesses
"Auf geht‘s zum Hornberger Schießen", sagte ein am Prozeß unbeteiligter Jurist, als sich gestern der Kompromiß in der "Strafsache Deschner wegen Religionsbeschimpfung" anbahnte.
Der mit der Sache nicht belastete Rechtskundige versicherte jedoch im gleichen Atemzug, daß er froh sei, mit dem Fall nichts zu tun zu haben. Die salopp hingeworfene Äußerung beleuchtet die Probleme, die der Prozeß aufgeworfen hat: Einerseits ging es darum, ob heutzutage Zuhörer eines Vortrags wissenschaftlich fundierte Kritik am Christentum in Deschners direkter Sprache hinzunehmen bereit sind. Andererseits hätte man nachweisen müssen, wie viele Zuhörer dieses Vortrags sich in ihrer religiösen Haltung beschimpft fühlten, denn davon wäre die strafrechtlich relevante Störung des öffentlichen Friedens abbhängig gewesen.
Es kam zum Kompromiß. Nicht deshalb, weil die einen sagen, der Dr. Deschner hat recht, und weil die anderen das Gegenteil behaupten. Es kam zum Vergleich, weil man heutzutage das Recht hat, seine Meinung zu äußern. Was Dr. Deschner beim Bund für Geistesfreiheit versäumte. hat er jetzt nachgeholt: "Soweit meine Aussagen als diskriminierend empfunden wurden, werden sie von mir nicht aufrechterhalten." Ein Hinweis zuvor hätte ihm den Prozeß erspart.
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