28. Mai 1970: Der Club ohne Steuermann

E. S.

28.5.2020, 07:00 Uhr
28. Mai 1970: Der Club ohne Steuermann

© Fischer

Nach dem Abstieg aus der Bundesliga vor einem Jahr, nach dem verpaßten Wiederaufstieg vor einer Woche, ist gestern Abend die Vorstandschaft des Vereins unter ihrem Präsidenten Walter Luther geschlossen zurückgetreten. Sie kam damit bei der Generalversammlung einem drohenden Mißtrauensvotum jener oppositionellen Gruppe zuvor, die dem Vorstand die fällige Entlastung verweigern wollte. Wie geht es weiter? Innerhalb von sechs Wochen muß eine neue Generalversammlung einberufen werden. Die größten Chancen, das lecke Schiff in eine bessere Zukunft zu steuern, hat gegenwärtig Brauereidirektor Heinz Tschech.

Die Aufregung im Vereinssaal am Valznerweiher begann präzise 20.32 Uhr, als Präsident Luther erklärte, die bisherige Vorstandschaft werde geschlossen zurücktreten. Die Opposition, die sich hinten im Saal versammelt hatte, spendete geschlossen Beifall. Zur Generalversammlung waren 602 der 5800 Mitglieder erschienen – mehr als je zuvor in der Vereinsgeschichte. Am schlechtesten besucht wurden Generalversammlungen immer dann, wenn es dem Club gut ging. Nach dieser Erklärung Luthers ging es Schlag auf Schlag: die bereits aufgesetzten Reden, die klären sollten, warum es zum Niedergang des FCN gekommen ist, wurden nicht gehalten.

Die Oppositionsgruppe erklärte: „Mehr als den Rücktritt der bisherigen Vorstandschaft wollen und können wir nicht erreichen.“ Die Hintergründe blieben somit ungeklärt. Nur Vereinsvorstand Luther erklärte: „Eine unverständliche Verkrampfung und Konzeptionslosigkeit der Mannschaft … Die Ursachen der Fehlleistungen sind nicht beweisbar … Über die Trainerfrage wird zu reden sein.“ Kuno Klötzer, der bisherige Betreuer der Mannschaft, ist jedenfalls ein toter Mann. Luther rühmte seine Qualitäten „während der ersten Spiele“, fügte aber dann gleich hinzu: „Der Aufstieg wurde nicht erst in Mannheim versäumt, sondern bei den Punktverlusten daheim.“ Über einen Nachfolger wußte er nichts zu berichten. Im Saal herrschte bei diesem Bericht lähmende Stille. Als einziger bekam Heinz Strehl Beifall, als Luther erklärte, dieser verdiente Spieler trete jetzt endgültig ab. Der Vereinspräsident blieb hinsichtlich der Neuverpflichtungen vage: es gelte den Sturm zu stärken. Drei Stürmer und Mittelfeldspieler sollten – möglichst mit Bundesliga-Erfahrung – verpflichtet werden.

Mit Verlust abgeschlossen

Der Kassenbericht von Schatzmeister Adam Winkler schloß im „reinen Geschäftsverkehr“ des Vereins trotz der relativ hochbezahlten Regionalligafußballer und häufig recht mäßigen Besuchs der Spiele lediglich mit einem Minus von 14.106,11 DM ab. Dabei lagen die Hauptpositionen für Einnahmen (2.643.272 DM) wie Ausgaben (2.226.268 DM) wie stets beim Betrieb der Vertragsspielerabteilung. Insgesamt wurden für den Geschäftsbetrieb des Vereins ausgegeben 3.330.695 DM bei Gesamteinnahmen von 3.316.509 DM. Immerhin hat der Verein damit erstmals seit Bestehen einer offiziell bezahlten Fußballerabteilung mit einem Verlust abgeschlossen. Winklers Bombardement mit Zahlen ließ den Mitgliedern keine Chance zur Kontrolle. Er verlas in Sekundenschnelle etwa 50 Einzelposten, die von niemandem aufgenommen, geschweige denn in dieser kurzen Zeit geprüft werden konnten. Schriftliche Unterlagen gab es nicht.

Um so deutlicher wurde dann Heinz Tschech, der bisherige Chef der Wirtschafts-und Finanzabteilung des Vereins. Er rechnete nach, daß der Club in den sechs Jahren seiner Bundesliga-Zugehörigkeit 360.000 DM erwirtschaftetet hat, also knapp 60.000 DM pro Jahr. Tschech folgerte daraus: „Vertragsfußball unter den gegenwärtigen Bedingungen ist wirtschaftlicher Unsinn.“ Er erhielt dafür lauten Beifall. Rein rechnerisch sieht es so aus, daß die Unkosten für den bezahlten Fußball zwischen 1964 und 1969 14,3 Millionen DM betrugen, die Einnahmen 15,6 Millionen DM. Der Überschuß von 1,4 Millionen DM reduziert sich durch Abschreibungen bei den neuen Anlagen am Valznerweiher auf die 360.000 DM Um 21.20 Uhr war es dann soweit: die Mitglieder billigten den Rücktritt des alten Vorstandes. Begründung: „Es hat keinen Sinn hier ein Scherbengericht abzuhalten.“ Ein weiterer Sprecher: „Es nützt gar nichts, wenn wir nach Schlachtopfern suchen!“

Der Beschluß wurde fast einstimmig gefaßt. Noch etwas wurde an diesem Abend geklärt: der 1. FC Nürnberg hat der Stadt in den Jahren seiner Bundesliga-Zugehörigkeit 3,4 Millionen DM eingebracht. Deshalb, so argumentierte der noch amtierende Vereinschef Luther, sei die Unterstützung der Stadt für den Verein in Höhe von etwa 1,5 Millionen nicht überzogen. Vom Ruhm, den der „Club“ der Stadt gebracht hat, wollte er gar nicht reden. Dieser Ruhm ist heute fast verblaßt, obwohl die letzte deutsche Meisterschaft erst knapp zwei Jahre zurückliegt. So ist es eben im Sport.