28. Oktober 1967: Geheimagent Runge wirkte in Nürnberg
28.10.2017, 08:24 UhrEr war für einige Zeit in Nürnberg, und es sieht fast so aus, als ob er persönlich die Fäden zu Pilny geknüpft hat. Auf den 39-jährigen russischen Oberstleutnant, der sich Anfang Oktober in den Westen abgesetzt und als Preis für das ihm gewährte Asyl die Namen zahlreicher Agenten in der Bundesrepublik preisgegeben hat, gehen die in jüngster Zeit erfolgten Verhaftungen wegen Spionageverdachts in Bonn, Nürnberg, Schweinfurt und Berlin zurück.
Runges geheimnisumwittertes "Gastspiel" in Nürnberg liegt zwölf Jahre zurück. Er tauchte 1955 hier auf und mietete sich bei einer Rentnerin am Rennweg 59 ein, wo er drei Monate blieb.
Der Agent war aus Berlin-Charlottenburg nach Nürnberg gekommen, wo er damals sogar einen Personalausweis auf den Namen Willi Kurt Gast ausgestellt bekam. Runge gab sich als Vertreter für Staubsauger aus, dürfte jedoch in dieser Zeit mit größter Wahrscheinlichkeit noch für den sowjetischen Geheimdienst (KGB) tätig gewesen sein.
Ob er es war, der während seines Aufenthalts in Nürnberg die Kontakte zu dem 50-jährigen Porstangestellten Pilny hergestellt hat, die diesen jetzt in den Verdacht landesverräterischer Beziehungen gebracht haben, wird man vermutlich erst erfahren, wenn die Bundesanwaltschaft das Ergebnis ihrer Ermittlungen in der Nürnberger Spionageaffäre bekanntgibt. Gelegenheit zur Aufnahme solcher Kontakte hatte Runge: Pilny war erst wenige Monate zuvor aus Ostberlin an die Pegnitz gekommen.
Auf diese interessanten Zusammenhänge, die ein neues Licht auf den mysteriösen Nürnberger Spionagefall zu werfen vermögen, sind wir bei eigenen Nachforschungen gestoßen. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, bei der wir das Ergebnis unserer Ermittlungen bestätigen lassen wollten, war so überrascht, daß sie es nach stundenlanger Bedenkzeit ablehnte, sich in irgendeiner Form dazu zu äußern.
Die 78-jährige Rentnerin Emma Reindl am Rennweg 59 kann sich aber noch gut an ihren früheren Untermieter Willi Kurt Gast erinnern, der in Wirklichkeit der sowjetische Spion Runge war. Wir zeigten ihr eine Abbildung von Runges sowjetischen Paß. Sie glaubte mit Sicherheit sagen zu können, daß das Photo auf diesem Dokument jenen Mann zeigt, der 1955 bei ihr gewohnt hat. Die Nürnbergerin erzählte: "Er hat sich auf ein Zeitungsinserat um mein Zimmer beworben. Der junge Herr hat einen guten Eindruck auf mich gemacht."
Der schwarzgelockte Mieter, der sich als Staubsaugervertreter ausgab, fand sofort Gefallen an dem möblierten Zimmer. Allerdings sah Emma Reindl ihren neuen Untermieter nur selten, weil er "von früh bis nachts unterwegs war". "Wissen sie", hat er ihr einmal erklärt, "es dauert oft lange, bis man einen Staubsauger verkauft."
Im Februar 1956 kündigte der sowjetische Agent überraschend seine Bleibe in Nürnberg und zog nach Köln in die Mainzer Straße 77. Angeblich hatte ihn seine Firma versetzt. Mit seinen vielen Koffern verschwand Willi Kurt Gast aber nicht auf Nimmerwiedersehen. Bereits einige Monate später stand er erneut vor der Haustür der Nürnberger Rentnerin. In seiner Begleitung befand sich eine attraktive junge Dame, mit der er seine frühere Vermieterin besuchte. Es war Runges deutsche Frau Valentina, wie eine kurz darauf an Emma Reindl verschickte Vermählungskarte zeigte.
Erster Besuch bei Porst
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Es dürfte mehr als ein Zufall sein, daß Runge nur wenige Monate nach Alfred Pilny nach Nürnberg kam, der sich im August 1955 aus Ostberlin abgesetzt und eine Wohnung in der Teutonenstraße bezogen hatte. Der Schluß liegt nahe, daß Runge Verbindung mit Pilny aufgenommen hat. Dabei bleibt offen, ob er sich ihm erst in Nürnberg näherte oder ob er ihn bereits von Ostberlin her gekannt hat, wo Pilny an der Zentralstelle für Wissenschaftliche Literatur tätig gewesen war. Diese Vermutung liegt um so näher, als bekannt ist, daß der sowjetische Geheimagent, der in den folgenden Jahren als harmloser Automatenaufsteller in Köln, Bonn und Berlin herumreiste, in Wirklichkeit den Agentenring Sütterlin in Bonn beaufsichtigt hat.
Über die Hintergründe der Nürnberger Spionageaffäre hüllt sich die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe weiterhin in Schweigen. Sie weigert sich, irgendeine Auskunft zu geben, die über die Mitteilungen von Generalbundesanwalt Ludwig Martin hinausgehen. Martin hatte am Donnerstag auf einer Pressekonferenz erklärt, Porst und Pilny seien "dringend verdächtig", schon seit längerer Zeit landesverräterische Beziehungen zum Ministerium für Staatssicherheit in Ostberlin unterhalten zu haben.
Porst, der sich gegenwärtig noch in der Nürnberger Untersuchungshaftanstalt befindet, durfte gestern seinen ersten Besuch empfangen. Ein Vertreter der Unternehmensspitze von Photo-Porst hatte eine Besuchserlaubnis bekommen und konnte sich mit dem Inhaftierten über geschäftliche Fragen unterhalten. Porst, so berichtete der Besucher, habe einen zuversichtlichen und optimistischen Eindruck gemacht. Er hoffe auf eine baldige Klärung der Angelegenheit und auf seine Freilassung, er lasse den Kopf nicht hängen.
Auch das Haus Porst gibt sich nach wie vor optimistisch. Ein Firmensprecher meinte zu den Erklärungen des Generalbundesanwaltes Martin, dieser habe "im dreifachen Konjunktiv" gesprochen. Die Behörde scheine sich nicht so sicher zu sein, wie es den Anschein habe.
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