5. August 1966: Langwasser trägt erste Früchte

5.8.2016, 07:00 Uhr
5. August 1966: Langwasser trägt erste Früchte

© Hans Kammler

Wer es bisher noch nicht gewußt haben sollte, merkt es jetzt zumindest an den neuen Autobahnschildern: Nürnberg bekommt im Süden einen Stadtteil, der Langwasser heißt.

Diese optische Schützenhilfe sieht die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Nürnberg (WBG) nicht ungern, weil damit der Name des Siedlungsgebietes – wie schon vorher der Fachwelt – auch den Einheimischen besser ins Bewußtsein gerufen wird. Denn obwohl seit 1957 fast 15 000 Menschen auf dem 400 Hektar großen Gelände ein Heim gefunden haben, gibt es noch immer Nürnberger, die keine Ahnung vom Baugeschehen haben und zum letzten Mal vor 30 Jahren ihren Fuß auf den Boden von Langwasser gesetzt haben.

Die langen Jahre der Vorbereitung, bei der zuerst unüberwindlich scheinende Schwierigkeiten beiseite geräumt werden mußten, mögen das geringe Interesse verursacht haben.

Niemand hat zuvor schätzen können, daß die Götter vor den Bau von Langwasser so viel Schweiß und unendliche Geduld gesetzt hatten. Es floß viel Wasser die Pegnitz hinab, bis die schwersten Hürden genommen waren: das deutsche Flüchtlingslager, das Valkalager oder die Steinbaracken, in denen 850 Menschen aus 24 Nationen lebten. Dazu kam „der Dolch im Gelände“, der Gleisstutzen der Bundesbahn, und ein von der WBG als „heimtückisch“ bezeichneter Vertrag, nach dem alle die Straßenflächen wieder an den Staat zurückgegeben werden mußten, die nicht als Straßen benötigt wurden.

5. August 1966: Langwasser trägt erste Früchte

© Hans Kammler

Im Norden haben die Amerikaner zwar das Manövergelände geräumt, aber sie halten durch ihre militärischen Einrichtungen noch immer einen guten Teil besetzt und warten, bis sie schlüsselfertigen Ersatz bekommen haben. Dazu kam, daß die WBG erst vor fünf Jahren das gesamte Gelände erwerben konnte und vor dieser Zeit – abgesehen von den Neubauten auf früher erworbenen kleinen Flächen – auf Langwasser die Hypothek der Ungewißheit lastete. Doch damit hat das Klagelied noch kein Ende. Die letzte Strophe gilt dem Märzfeld, auf dem zur Zeit Teile des Walles und einige Türme beseitigt werden; eine mühselige Arbeit, weil der Eisenbeton nicht allein durch Sprengkraft, sondern auch mit dem Schneidbrenner zertrümmert werden muß. Dagegen bereitet das Friedensdorf kein Kopfzerbrechen mehr. Die Verhandlungen über den Abbruch stehen kurz vor dem erfolgreichen Abschluß. Ungezählte Millionen DM aber – allein der Umzug der US-Truppen steht mit rund 25 Millionen DM zu Buch – mußten erst einmal ausgegeben werden, um reinen Tisch zu schaffen. Erst dann konnte man an die großzügige Bebauung denken.

Überall wird gebaut

„Manche haben gemeint, daß man die ersten Häuser errichten kann, wenn der Wettbewerb abgeschlossen ist“, erklärt Diplom-Volkswirt Josef Haas, der Direktor der WBG. Doch dazu mußte zunächst einmal der Gesamtaufbauplan geschaffen werden, der zunächst auf 40 000 Einwohner, später auf 60 000 Menschen ausgerichtet war. Dann erst konnten die Baugesellschaften nach dem vorgezeichneten Rahmen die einzelnen Bebauungspläne aufstellen. Trotzdem: die lange Vorbereitung trägt Früchte. Wer sich der Mühe unterzieht und zum zehnten Stockwerk eines Hauses emporklettert, dem liegt Langwasser wie auf dem Reißbrett zu Füßen, bunt gemischt, mit „Wohnmaschinen“ für 144 Familien, aber auch mit dem Eigenheim und dem kleinen Gärtchen drumherum. An allen Ecken und Enden aber wird gebaut. Von den insgesamt 25 beteiligten Bauträgern schneidern gerade 18 an dem „großen Anzug für Nürnberg“. „1500 Wohnungen im Bau, 1966 Baubeginn für 1000 Wohnungen, Vorerschließung für 4000 Wohnungen“: mit wenigen Worten schildert Diplom-Volkswirt Andreas Burgis das Baugeschehen in Langwasser.

„Außerdem werden noch in diesem Jahr in der Nachbarschaft K 480, in der Nachbarschaft I 250, in der Nachbarschaft L 180 und in der Nachbarschaft M 100 Wohnungen fertig.“ Zugleich wächst der im Endausbau 115 Meter hohe Kamin des Heizwerks, das im Herbst betriebsbereit ist und 16 000 Wohnungen mit Wärme versorgen kann. Zum 17geschossigen Hochhaus an der Paul-Gerhardt-Kirche – just an der Eingangspforte von Langwasser – wird noch heuer der erste Spatenstich getan. Abgesehen von der viel besser gewordenen Versorgung der Bevölkerung mit den Dingen des täglichen Bedarfs, scheint nun auch über das große Einkaufszentrum als der städtebaulichen Mitte des Gebietes mehr Klarheit zu herrschen. „Wir glauben, es ist eine Lösung gefunden worden, die allen gerecht wird“, freute sich gestern Josef Haas. Dabei weiß der Volkswirtschaftler freilich, daß man kein Zentrum für 60 000 Menschen bauen kann, wenn erst 15 000 Menschen im Versorgungsbereich leben. „Es muß sich den Geschäftsleuten auch der entsprechende Markt bieten“, erklärte der WBG-Direktor und deutete damit an, daß das Vorhaben vermutlich in mehreren Bauabschnitten verwirklicht wird.

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