5. Juni 1970: Grünes Licht für Spiel auf grünen Wiesen
5.6.2020, 07:04 UhrDiese Frage bewegt zur Zeit die Nürnberger von den Spitzen der Verwaltung bis zur Hausfrau und Mutter sowie den Rentner XY, der seiner Zeitung bitterböse Briefe schreibt. Denn dass ein Mensch, ein ordentlicher und hier geborener, grünen Rasen betritt, solches ist "unerhört, noch nie dagewesen und gehört verdammt", so meinen manche.
Stimmen der Vernunft kommen aus den Reihen der Frauen, die ja zuerst und am eigenen Leibe verspüren, wo diese Gesellschaft der Schuh drückt: "Weltstädte wie Hamburg und Frankfurt haben sich seit langer Zeit entschlossen, für die junge Generation Erholungsgebiete zu erschließen.
Deshalb sollte keine Mühe gescheut werden, Rasen und Anlagen für die allgemeine Benutzung freizugeben. Haben wir doch alle gesehen, dass Hunderttausende von Besuchern des Dutzendteiches beim Kongress der Zeugen Jehovas den Anlagen und Rasenflächen nichts geschadet haben. In den Freibädern sind die Grünflächen ebenfalls stark beansprucht und leiden keinesfalls darunter.
"Wenn die maßgebenden Politiker der Stadt Nürnberg sich entschließen würden, die Grünanlagen bald freizugeben, werden sie sicher den Dank der normal denkenden Bevölkerung bei einer Wiederwahl verbuchen können", schreibt Erna Doligkeit, im Stadtteil Langwasser beheimatet.
Einer der in diesem Brief angesprochenen Politiker, der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Stadtrat, Willy Prölß, setzt sich mit seiner Partei rückhaltlos für die allgemeine Zugänglichkeit der öffentlichen Grünanlagen ein, "selbst wenn damit Nachteile verbunden sein sollten". Die Sauberhaltung der Grünanlagen ist für Willy Prölß eine Frage der Selbstkontrolle der Bürger. Wir hoffen, daß die Nürnberger Disziplin wahren ... und wenn schon Papiertüten und Bananenschalen zurückbleiben, dann müssen sie halt weggeräumt werden", fordert der Stadtrat.
Prölß erinnert an Paris, wo sich die Franzosen zu Zehntausenden in den Tuillerien und im Bois de Bologne vergnügen. Die Schäden an den Grünanlagen dort sind gering. Auch in England, dem klassischen Land des Rasens, sind die Wiesen keineswegs heilige Kühe.
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