5. November 1969: Gabriele spricht den Prolog

NN

5.11.2019, 07:00 Uhr
5. November 1969: Gabriele spricht den Prolog

© Fischer/Ranke

Sie stand in hartem Wettbewerb mit Sylvia von Sperl, 16 Jahre alt, 1,60 groß, brünett, Lehrling im Steuerberater-Beruf. Fräulein von Sperl, eine gute "Verliererin", hat sich bereiterklärt, das gewählte Christkind zu vertreten, wenn das aus irgendeinem Grund notwendig werden sollte.

5. November 1969: Gabriele spricht den Prolog

© Fischer/Ranke

Die Wahl des Nürnberger Christkinds im feierlichen Sitzungssaal des Wolff´schen Rathauses mit der reich verzierten Kassettendecke begann gleich mit einer Überraschung. Eines der sechs Mädchen stellte sich bei genauer Nachrechnung als zu jung heraus. Ein reizender Fehler, der sich von selbst korrigiert.

Sechs junge Damen, die von den Lesern mit den meisten Stimmen bedacht worden waren saßen heiter zwitschernd und gar nicht schüchtern im Vorzimmer und hatten sich schon gut angefreundet.

Wie bei einer Gerichtsverhandlung wurden sie einzeln aufgerufen, traten vor die Jury und beantworteten - nun doch mit einigem Herzklopfen - ein paar milde Fragen, die in der Regel Oberspielleiter Hesso Huber stellte: "Warum haben Sie sich gemeldet? Warum möchten Sie in Nürnberg Christkind sein?" Die Antworten reichten von "Das weiß ich nicht" bis zu "Es würde mir großen Spaß machen".

Jedes Mädchen trug ein selbstgewähltes Gedicht vor, das eine mehr in der naiven Leierkastenweise, das andere auf hochdramatische und tiefergreifende Art, stecken blieb keine der jungen Damen. Die zehn Juroren hatten es wahrlich nicht leicht, bei so viel Lieblich ganz streng und sachlich zu bleiben.

Vier Bewerberinnen wurden nochmal in die engere und engste Wahl gezogen, mussten eine nach der anderen alle denselben Weihnachtstext ablesen, dann traf die Jury mit sechs gegen vier STimmen ihre endgültige Entscheidung. Siehe oben. Eineinhalb Stunden hatte der Wettstreit gedauert.

Bedankt für ihren guten Willen und beschnekt mit dem traditionellen weiß-roten Nelkenstrauß, gingen sie fröhlich und guter Dinge von dannen. Das Nürnberger Christkind hatte eine schwere Dürer-Kassette mit sämtlichen Holzschitten des Meisters zu schleppen. Jetzt büffelt es wahrscheinlich schon den Prolog für den Christkindlesmarkt.

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