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5. September 1971: Figuren im Fadennetz

5.9.2021, 07:00 Uhr
5. September 1971: Figuren im Fadennetz

© Ranke

Dieses Objekt, ein vier mal vier Meter großer Stahlrahmen, in dem sich ein Netzwerk von Nylonfäden befindet, erzeugt durch den wechselnden Lichteinfall ständig neue Bilder, Die Patenschaft hat die "Neue Heimat Bayern" in München übernommen. Davite vertritt Argentinien in diesem Jahr auf der Biennale in Sao Paulo, Brasilien. Wir sprachen nach Abschluß seiner Arbeit mit dem Künstler.

Señor Davite hatte auch einmal einen Vornamen. Doch den legte er vor zwölf Jahren ab, als er beschloß, Künstler zu werden. Seitdem nennt er sich nur "Davite", und dieser Begriff ist in der ibero-amerikanischen Welt zu einem Gütezeichen geworden.

Als Davite noch einen Vornamen hatte, besaß er eine gutgehende zahnärztliche Praxis in Buenos Aires. Doch mehr als das Glitzern von Goldplomben und Gebissen interessierte ihn das Flimmern der Sonnenstrahlen und der Schein des Mondes. Davite begann, mit dem Licht künstlerisch zu arbeiten.

Er fing das Licht mit Nylonfäden, die er zwischen Metallrahmen spannte. In den Fadennetzen bricht sich das Licht zu sich ständig wandelnden Strahlenfiguren, teils mathematisch streng, teils verspielt. Die Effekte kann Davite mittlerweile vorausberechnen, Je nachdem wie die Fäden gespannt sind, welche Dichte und welchen Abstand sie haben, kommt es zu bestimmten Figurenkonstellationen.

Die Wandlung des Lichts, der Stand und im Fadennetz die Intensität der Sonne und des Mondes variieren die in Fadennetzen vorgegebenen Figuren. Der Betrachter kann durch die Veränderung des Blickwinkels ebenfalls die Bilder verändern. Nach dem Grundmaterial, nämlich Nylonfäden, nennt Davite seine Arbeiten "Hilografias" (spanisch "hilo" = deutsch "Faden"). Unterdessen prägte der argentinische Kunstkritiker Ignacio Pirovano für die Arbeiten Davites und verwandter Künstler den Begriff "Arte generativo", etwa "selbstschöpferische Kunst", weil sie aus sich selbst immer neue Bilder hervorbringt.

Warum gab der Dentist seinen sicheren einträglichen Beruf auf und begab sich auf die schwankende Ebene eines Künstlers? Davite, ein älterer Herr voll nobler Grandezza, antwortet mit einem Zitat Ortega y Gassets: "Die Gründe, kein Schriftsteller zu sein, sind so übermächtig, daß nur eine starke Neigung und eine gewisse Dosis von Unvernunft dagegen sprechen können."

Und er fährt fort, begleitet von der temperamentvollen Zustimmung seiner charmanten, glutäugigen Frau: "Ich sehe die Wiedergabe der Schönheit und die Schaffung von Kunstwerken als Ausdruck unserer reinsten Persönlichkeit an, und wenn man damit noch einen Bezug zu der Realität dieser Welt herstellen kann, hat man seinem Leben einen Sinn gegeben."

Davite ist beileibe kein Esoteriker. Wenn seine Werke in Museen wandern, wie es in einigen Fällen in Süd- und Mittelamerika und in Frankreich geschehen ist, ist er darüber nicht begeistert. "Meine Arbeiten müssen auf öffentliche Plätze und Straßen, genauso wie das Licht des Mondes, der Sterne und der Sonne.

Überall wird dem Licht der Weg versperrt. Die Straßen sind eingefriedet mit Häusern und Plakatwänden mit groben aufdringlichen Darstellungen. Ich glaube, daß die Erfahrung des Lichtes auf die überreizten Nerven der Fußgänger und Verkehrsteilnehmer besänftigend wirkt und die Aggressionen abbauen hilft. Meine Objekte sind für jeden da, ganz einfach wie das Licht für jeden da sein sollte."

Augenblicklich arbeitet Davite an einer "Hilografia", die ganz Buenos Aires sehen kann. Mit Laserstrahlen soll ein Netzwerk in den Himmel über der Stadt projiziert werden, wo sich dann das Licht überall sichtbar bricht.

Davite lächelt bei der Frage, ob es möglich wäre, dieses System über ganzen Landstrichen zu errichten. "Natürlich, die Raumfahrt eröffnet auch der Kunst ganz neue Dimensionen. Es ist nur eine Kostenfrage. Ich glaube, daß durch das ständige Bemühen der modernen Kunst, in neue Bereiche vorzustoßen, ganz allgemein neue Quellen der Erfahrung und der Kreativität aufbrechen. Diese neuen Ausdrucksformen müssen aber das Ergebnis der inneren Überzeugung des Künstlers; sein, resultierend aus der Auseinandersetzung mit der Welt, in der er lebt. Verfälscht er diese Realität aus welchen Gründen auch immer, so ist diese Kunst sinnlos und wird auch nicht fortbestehen."

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