6. November 1970: Die Verhüllung beginnt jetzt

Nürnberg - Bein oder nicht Bein – diese Frage beantwortet Nürnbergs modebewußte Damenwelt allen Unkenrufen zum Trotz mit einem Kompromiß: im Herbst will sie Midi oder Kniebe tragen.

Nach heißen Diskussionen und erbitterten Stammtischgesprächen, bei denen die modisch geplagten Ehemänner dem neuen Look kurzerhand den Krieg erklärten, haben sich die Gemüter etwas beruhigt; denn der Herbst ist im Anzug, es wird kalt ... „und die langen Röcke und Mäntel halten doch wärmer als Minikleidchen, nicht wahr?“

Diese Karte sticht – häufig. Im Nürnberger Straßenbild allerdings fühlt sich Midi – im Gegensatz zu anderen Großstädten noch nicht heimisch. Doch das hat einen einfachen einleuchtenden Grund. Der modische Umschwung beginnt hierorts mit dem vernünftigen Mantel – und dazu war es in den letzten Tagen noch zu warm. Und Midikleid zu kurzem Mantel – diesen modischen Fauxpas will sich niemand leisten.

Nürnberg

30.11.2020, 07:10 Uhr

Kalenderblatt: Nürnberg im November 1970

Aber an modischer Bereitschaft fehlt es nicht. Verkäuferinnen in Nürnberger Bekleidungshäusern, die gegen die große Unsicherheit den modischen Sachverstand ins Feld führen, können fast alle ihre Kundinnen überzeugen – und selbst die Männer geben angesichts der kniebedeckten Tatsachen und einem völlig neuen Damengefühl nach, „na, so übel sieht das ja auch wieder nicht aus“.

Gudrun Neiniger vom Modehaus Maybach: „Midi wird am meisten gefragt, besonders bei Mänteln hat sich diese Länge absolut durchgesetzt. Nur für ältere Kundinnen müssen wir die Röcke etwas kürzen. Noch unsichere Damen entscheiden sich für Hosenanzüge.“ Nach Gudruns Erfahrungen – selbst im schicken Maxirock mit Granny-Bluse – sind jedoch meist die Ehemänner gegen die neuen Modeeskapaden.

Emmi Kraus, Inhaberin von Boutique Madame und Pariser Fenster: „Der lange Mantel ist das große Geschäft der Saison. Bei 75 Prozent unserer Kundinnen hat sich Midi (bis zur Mitte der Wade) durchgesetzt. In unseren Boutiquen haben wir uns bereits auch vollkommen auf die neue Linie umgestellt.“

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Hanne Brehm von der Boutique Ingeborg Schmolz: „Ja, die Männer sind noch immer dagegen, doch unsere Kundinnen haben sich durchweg für kniebedeckt oder Midi entschieden. Viele tragen allerdings – unter dem Einfluß ihrer Männer – noch kurze Garderobe. Abgesehen von den Mänteln, die am meisten gefragt sind, gehen auch die neuen Gauchohosen mit Bund oder gerade abgeschnittenen Beinen sehr gut.“

Marga Friedrich, Einkäuferin des Modehauses Fellner: „Je herbstlicher es wird, um so mehr Damen entscheiden sich für Midi. Wir müssen allerdings auch mehr beraten und Vorschläge machen. Wir haben überhaupt keine kurzen Mäntel verkauft. Zu den wadenlangen Röcken reichen wir gleich unsere Probierstiefel, damit der Gesamteindruck stimmt. Meiner Meinung nach müssen viele Damen sich über die neue Mode freuen, die viel kleidsamer und variabel ist.“