7. April 1968: Die Steuer-“Lotterie“
7.4.2018, 07:00 UhrIn Nürnberg wurden gestern zum zweitenmal in einer deutschen Großstadt 10.000 Flugblätter verteilt, in denen die Bevölkerung aufgefordert wird, die Mißstände beseitigen zu helfen. Die beiden Verbündeten im Protest wollen erreichen, daß die Bürger nicht mehr länger ihr Geld in der "Steuerlotterie" verspielen.
Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Steuerbeamten, Hermann Fredersdorf, und sein Kollege vom Mittelfränkischen Bezirksverband, Dr. Eckhart Ulmer, gingen gestern selbst auf die Straße, um den Nürnberger Anteil an einer Million Flugblätter unters Volk zu bringen. Sie mußten sich von zwölf Studenten unterstützen lassen, weil es die Chefs der Finanzbehörden nicht gerne sehen, daß ihre Beamten selbst auftreten. Der Protest richtet sich jedoch nicht gegen die Verwaltung, sondern an die Parlamente und Regierungen.
"Sie zahlen zuviel ..."
Auf den Flugblättern bekommt die Bevölkerung schwarz auf weiß zu lesen, was sie sich insgeheim schon oft gedacht haben mag. Die drei Kernsätze lauten: "Sie zahlen zu viel Steuern, weil Sie das mehr bezahlen, was andere zu wenig zahlen" – "Sie zahlen zu viel Steuern, weil Sie sich im Steuerdschungel nicht mehr zurechtfinden" – "Sie zahlen zu viel Steuern, weil Sie auch das mit aufbringen müssen, was das Finanzamt mangels Funktionsfähigkeit bei anderen nicht erheben kann – immerhin 1 bis 1,2 Milliarden DM jährlich." Steuerbeamte und Steuerzahler fordern die Bürger auf, ihre Abgeordneten zu drängen, für eine gleichmäßige und gerechte Behandlung aller Steuerzahler zu sorgen.
Kleine Steuern abbauen
Einfachere Gesetze halten sie für den ersten und besten Weg, zu einer Gerechtigkeit für alle. "Irgendjemand sollte einmal ein Konzept machen, das an die Stelle von immer neuen Flickwerk tritt", meinte Dr. Ulmer und verwies darauf, daß seit dem 1. Januar zum Gesetz über die Mehrwertsteuer und an die 50 Erlasse hinzugekommen sind.
Er und seine Kollegen setzten sich dafür ein, daß kleine Steuern abgebaut werden, beispielsweise die Kraftfahrzeugsteuer in die Mineralölsteuer einbezogen gehört. Schließlich wünschen sich die Finanzbeamten eine modernere Verwaltung, "denn wir stehen noch auf dem Stand von 1900, was allein die Tatsache erhellt, daß bei uns das meiste mit der Hand geschrieben werden muß."
Die Protestierer glauben, mit gutem Grund mehr Klarheit in den Gesetzen fordern zu dürfen. Sie versichern: "Wir gehen nicht davon aus, daß uns alle Steuerpflichtigen hinters Licht führen wollen!"
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